Samstag, 30. Dezember 2023
1001
Erwachsen werden meint: die Lust am unmittelbaren Impulsgehorsam überwinden durch die Freude am wirksamen Willen zur Selbsthandhabung.
Sonntag, 24. Dezember 2023
1000
Vor mir liegen die Druckfahnen eines Textes, in dem ich das Profil meines reservativen Messianismus noch einmal schärfer als bisher konturiere, in dem ich mich zugleich noch schärfer von jenen rechten und linken Christentümern abgrenze, mit denen ich zwar die Fragen, mit denen ich auch einige Begriffe als Formen, mit denen ich substanziell aber noch nicht einmal die Voraussetzungen teile.
An dieser Stelle wieder der Gedanke (siehe Nr. 577): Die Rede von einer Hellenisierung des Christentums in der formativen Phase der römischen (westlichen) Kirche halte ich für irreführend. Treffender wäre es wohl, von einer Christianisierung des jesuanischen und paulinischen Messianismus zu sprechen. Der theologische, kultische und praktische Bruch, der sich in dieser Phase ereignet, ist in seiner Fundamentalität vergleichbar mit dem Bruch zwischen Mose und Abraham.
Ein Zurück hinter diesen Bruch ist nicht möglich. Wohl aber eine Ent-Deckung des Vorigen mit Wirkungen und Folgen. Diese Ent-Deckung will mir selbst drängend ausständig erscheinen am Heiligen Abend des Christentums im Jahr 2023, im Angesicht der Weltwirklichkeit, wie sie uns an diesem Tag vor Augen steht, im Angesicht einer Wirklichkeit, die so ist nicht obwohl, sondern gerade weil es das Christentum gibt. Marána thá.
Samstag, 23. Dezember 2023
999
Wer nur sein will und kann, was man heute authentisch nennt, der will und kann auch nur tun oder lassen, was authentisch ist. Das aber ist nur selten das Notwendige.
Mittwoch, 20. Dezember 2023
998
Mir fehlt die Fähigkeit, wirkliche Wahrnehmung, wenn sie ausbleibt, durch fiktive Wahrnehmung zu kompensieren. Das macht mich so gottlos.
Dienstag, 19. Dezember 2023
996
Zu Nr. 533, 662, 854: Ein erzwungenes Experiment nähert sich seinem Ende. An diesem Ende die bestätigte und bekräftigte Einsicht: Die Suche nach entspannender Identität muss und wird immer scheitern. Es bleibt uns allein der Versuch, Räume ausfindig zu machen, in denen die spannende Nicht-Identität halbwegs erträglich ist. Wohl dem, der sich Räume erträglicher Nicht-Identität erschließen kann. Wenn Du frei werden kannst – nutze die Gelegenheit (1 Kor 7,21).
995
Im Sprechfunkbetrieb des deutschen Heeres wird die Hinwendung zu einem neuen Inhalt durch einen markanten Begriff angezeigt: Trennung.
Genau das ist es, was es auch an Wendepunkten des Lebens zu entscheiden und zu vollziehen gilt: Trennung. Die Kunst im Leben, die Lebenskunst besteht dann allerdings darin, aufzubrechen ohne abzubrechen, sich also entlastend, nicht belastend zu trennen.
Freitag, 15. Dezember 2023
994
Was geworden, was mir gegeben ist, befriedigt nicht meine Natur. Es prägt meinen Glauben. Wenn es so etwas wie einen göttlichen Plan gibt, dann dient dieser Plan nicht unseren Bedürfnissen, sondern der messianischen Interpretation. Der göttliche Plan braucht Menschen, die bereit sind, sich messianisch prägen zu lassen.
Sonntag, 10. Dezember 2023
993
Es gibt Stachel im Fleisch, die mahnen nicht zur Umkehr, sondern zur Rückkehr.
Montag, 20. November 2023
992
Das negative Surrogat der Freiheit ist die Zucht.
Das negative Surrogat des Messianismus ist der Materialismus.
Erst jenseits der Zucht wartet die Freiheit.
Erst jenseits des Materialismus wartet das Messianische.
Das negative Surrogat des Evangeliums ist das Gesetz.
Samstag, 18. November 2023
991
Kants transzendentale Freiheit setzt, wenn sie als Selbstbestimmtheit jenseits purer Kausalität wirklich, also praktisch werden soll, rechtlich bestimmte äußere Freiheit als Bedingung der Möglichkeit praktischer Freiheit voraus. Anders die messianische Freiheit. Sie wird gerade auch unter Bedingungen äußerer Unfreiheit wirklich. Weil sie unabhängig macht nicht nur von jeder Kausalität, sondern auch von jeder Selbstbestimmtheit, von jeder auch moralischen Selbstgesetzgebung, von allen fiktiven Bemühungen, sich selbst durch Gründe aus dem Wirklichkeitssumpf der Kausalitäten herauszuziehen.
990
Wer glaubt, wer Einzelner ist, der kann nicht solidarisch sein.
Sonntag, 5. November 2023
989
Hamas. Israel. Gaza. Ich zögere, mich an dieser Stelle zu diesem Gültigkeitsstreit zu äußern, weil nahezu alles, was dazu gesagt werden könnte, nicht hierher gehört. Vielleicht nur zwei Andeutungen.
988
Warum ich kein guter Therapeut bin: Die Hilfe, die ich anzubieten hätte, liegt jenseits der Verzweiflung. Üblicherweise wird von Therapeuten jedoch erwartet, eine Hilfe anzubieten, die nicht verzweifeln lässt.
987
Descartes: Ich denke, also bin ich. Man könnte auch sagen: Ich bin mir meines Bewusstseins bewusst, mein Bewusstseins ist sich seiner selbst als solches bewusst, also kann ich mich darauf verlassen, dass ich existiere, dass ich wirklich bin. Mein Bewusstsein meines Bewusstseins, das Selbstbewusstsein meines Bewusstseins beweist mich mir selbst als existierend, als wirklich.
Letztlich nimmt hier der zweifelnde Descartes, um nicht verzweifeln zu müssen, Zuflucht zu zwei dogmatischen Setzungen: zur Wirklichkeitssetzung des Bewusstseins und zur Wirklichkeitssetzung des Ich. Diese beiden Setzungen werden dann in unzulässiger Weise logisch miteinander verknüpft.
Descartes Setzungen und Descartes Logik sind nur allzu verständlich. Sie haben sich aber vor allem auch als gefährlich erwiesen. Gerade auch ihnen verdanken wir den Hochmut und die Ignoranz des modernen Menschen. Descartes hätte sich und uns einen Gefallen getan, wenn er so mutig gewesen wäre, seine erkenntnistheoretische Formel als eine aus der Not geborene Fiktion zu formulieren. Das hätte die moderne Selbstbehauptung zumindest deutlich gedämpft.
Samstag, 4. November 2023
986
Derridas différance ist für mich nicht bloß ein sprachphilosophisch erhellendes Symbol, sondern auch Zeichen einer unausgesetzten existenziellen Wahrnehmung – dies vor allem im Raum des unmittelbar Zwischenmenschlichen. Immer und überall Differenzerfahrung, das Bewusstsein der Nicht-Präsenz, der immerzu spannenden Nicht-Identität.
Nun ist mir diese Nicht-Identität oft einerlei, bisweilen ist sie mir sogar willkommenes Werkzeug, in dessen Handhabung ich mich übe. Es gibt jedoch auch Räume des Zwischenmenschlichen, in denen die Nicht-Identität mir geradezu körperliche Schmerzen bereitet. Weil die Sehnsucht nach Präsenz und Identität allzu groß ist. Hier verschafft die Erinnerung daran, dass Identität noch nicht einmal mit mir selbst möglich ist, zumindest ein wenig Linderung (siehe auch Nr. 34, 909).
985
Es gibt Menschen, die empfinden die Bitte, sich am Denken, am Mitdenken zu beteiligen, als Zumutung. Manche empfinden sie sogar als Vorwurf. Vielleicht, weil sie ahnen, dass jenseits des Denkens nichts mehr so bleiben kann, wie es ist. Weder in der Haltung noch in der Praxis.
Donnerstag, 2. November 2023
984
Vor einigen Tagen im Fernsehen eine Reportage zu ADHS. Der Menschenfreund Eckart von Hirschhausen recherchiert hier zu einem Thema, das ihm offenbar auch persönlich sehr nahe geht.
Sonntag, 29. Oktober 2023
983
Während wir denken, wissen wir eigentlich nie so recht, was da gerade mit uns geschieht.
982
Unser Bewusstsein hat lediglich eine Funktion: Probleme erfinden und lösen, die wir ohne Bewusstsein nicht hätten.
Freitag, 27. Oktober 2023
981
Warum ich kein guter Pädagoge bin: weil ich dazu neige, auf kleine Fragen große Antworten zu geben. Sobald ich zu antworten beginne, habe ich den Fragenden bereits verloren.
980
Im Grunde genommen sind alle Äußerungen und Akte des Bewusstseins Phänomene der Vergängnisbewältigung.
979
Bisweilen hilft es, sich daran zu erinnern, dass die Wirklichkeit mit sich selbst kein Problem hat.
Donnerstag, 26. Oktober 2023
978
Phasen und Wendungen meines Denkens.
Prägung: Christliche Verurteilung der Weltlichkeit der Welt, Verurteilung ihrer Säkularität.
Erdung: Theologische Anerkennung und philosophische Behauptung der Säkularität
Wendung eins: Verzweiflung an Christentum und Säkularität zugleich und gleichermaßen.
Selbstirritation: Aufdeckung genealogischer Abhängigkeit und struktureller Ähnlichkeit von Christentum und Säkularität.
Wendung zwei: Wiederentdeckung und Aneignung des paulinischen Messianismus.
Aufklärung: Messianische Kritik des religiösen wie des säkularen Christentums.
Wendung drei: Fragmentarische Entfaltung eines reservativen Messianismus.
In jeder Phase und Wendung vor Wendung drei meines Denkens habe ich das jeweils Ergriffene oder Verlorene so behauptet, als wäre es das Letzte – still auf dessen Vorläufigkeit hoffend.
Und auch jetzt ist das Letzte noch nicht da, noch nicht ergriffen. Ich jage ihm aber nach. Konstruktiv im eigentlichen Sinne des Begriffs.
Freitag, 20. Oktober 2023
977
Ich bin ein enger Freund der Differenzierung. Keine halbwegs angemessene Wirklichkeitsdiagnose, ohne Differenzierung. Gerade auch unter den vermeintlich oder tatsächlich Denkenden beobachte ich jedoch bisweilen geradezu eine Flucht in die Differenzierung – zum Zwecke der Unantastbarkeit. Man will demonstrieren, man will nachweisen können, dass man an alles gedacht, dass man alles bedacht hat – um zuletzt nicht dingfest gemacht werden zu können. Um nicht verantwortlich gemacht werden zu können für die Neigung, für die Konsequenz, für die Wirkung des eigenen Denkens. Differenzierung kann auch Ausdruck der Feigheit sein.
Sonntag, 15. Oktober 2023
976
Besuch einer kirchlichen Veranstaltung, angesiedelt irgendwo zwischen klassisch-musikalischer Erbauung und religiöser Besinnung. Und da ist sie wieder: diese beeindruckende und zugleich irritierende christliche complexio oppositorum, dieses nahezu verzweifelte Bemühen darum, letztlich nur eine gültige Wirklichkeit zu denken und diese Wirklichkeit in und unter einer einzigen Gottheit zu vereinigen, zusammenzuhalten.
Gerade noch Johann Bachs Motette Unser Leben ist ein Schatten, jene eindringliche Erinnerung an die Flüchtigkeit und Nichtigkeit alles Wirklichen, dann, unmittelbar, unvermittelt und letztlich unvermittelbar anschließend, im Angesicht des aktuellen Hamas-Terrors gegen Israel, das flehentliche Friedensgebet. Ein Gebet, das auf eine Wirklichkeit hinaus will, das sich an eine künftige Weltwirklichkeit hängt, die es so nicht geben wird. Die es so nicht geben kann. Weil Wirklichkeit nicht Gott, weil Gott nicht Wirklichkeit ist.
Als complexio oppositorum ist das Christentum verlockend und abstoßend, verzaubernd und enttäuschend zugleich. Die christliche complexio oppositorum ist wesentliche Mitursache für beides: für Aufstieg und Fall des Christentums.
Freitag, 6. Oktober 2023
975
Gegen die falschen Propheten, gegen jene Apokalyptiker, die verschleiern statt zu enthüllen: Das Wirkliche vergeht, ist im Vergehen begriffen. Dabei lässt und wird sich das Vergehen weder beschleunigen noch verzögern. Das Vergehen ist nicht veränderbar oder veränderlich. Es schreitet unmerklich und unabänderlich voran – bis es augenblicklich und überraschend abbricht im augenblicklichen und überraschenden Abbruch des Wirklichen.
Sonntag, 17. September 2023
974
Vergangenen Freitag: Besuch der Invictus Games in Düsseldorf. Derartige Veranstaltungen empfinde ich als bedrückend. Einerseits ist es erstaunlich, wie tapfer sich vom Krieg versehrte Menschen neue Räume der Präsenz und Repräsentation erschließen. Andererseits ist es erschütternd, dass dies lediglich auf dem Wege der Kompensation möglich ist. Dass dabei erneut gerade jenen Mächten vertraut wird, die doch eben in jenen Abgrund gestürzt haben, aus dem man sich nun herauszukämpfen versucht. Dies anschauend, nehme ich die Spannung zwischen dem, was ich als Soldat repräsentieren, was ich zugleich denkend dekonstruieren muss, besonders deutlich wahr.
973
Eine bissige Variante der Protestantismus-Kapitalismus-These: Das Christentum ist der Versuch, die an sich zwecklose Frist zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft des Christus mit Zweck zu füllen. Gerade auch die protestantische Erscheinungsform des Christentums begreift die Frist als Gnadenfrist, in der der Zweck gesetzt ist, die Zahl der Heiligen zu vervollständigen.
Vor diesem Hintergrund ließe sich die These aufstellen, dass es einem nicht unerheblichen Teil des Christentums immer schon bloß um Zahlen ging. Und je mehr die Zahlen – wie etwa im calvinistischen Christentum – der menschlichen Verfügbarkeit entzogen sind, desto mehr lösen sich die Zahlen vom ersten, religiösen Zweck und werden zum säkularen Selbstzweck.
Sonntag, 27. August 2023
972
Eine These: Das Signum der okzidentalen Neuzeit ist die Überwindung des Repräsentativen durch das Fiktive. Dieser Trend findet seinen Höhepunkt im Virtuellen. Im Virtuellen werden Formen und Inhalte beliebig. Die mögliche Korrespondenz mit der ersten, eigentlichen Realität geht verloren. Alles tendiert, so könnte man vielleicht sagen, hin zu einer Spaltung von Bewusstsein und Sein. An deren Ende droht der Verlust der Lebensfähigkeit. Wir verlernen, wirklichkeitsgemäß zu existieren.
Ergänzende These: Das zu lösende Problem liegt nicht am Ende dieser Entwicklung. Es liegt in ihrem Anfang, im Repräsentativen.
971
Kleine und feine Urlaubslektüre: Henning Ritters Verehrte Denker. Viele der darin versammelten biographischen Anekdoten insbesondere zu Schmitt, Taubes und Blumenberg sind mir bereits aus Erzählungen vertraut.
Rückblickend ist es wohl gerade auch Blumenberg gewesen, der mir den Schlüssel zu meinem eigenen Denken in die Hand gelegt hat. In Ritters Blumenberg-Skizze dazu noch einmal eine amüsante Analogie entdeckt. Ritter beobachtet bei Blumenberg die „Annahme des realen Nutzens von Imaginärem“. Man könne, so Blumenberg, „im rationalen Betrieb der Erkenntnis eine Tendenz des schwindenden Nutzens des Realen bei gleichzeitig wachsendem Nutzen des Irrealen ausmachen.“ Das ist das Signum der Neuzeit, das Signum insbesondere der Aufklärung: die Neubefestigung im Irrealen, im Imaginären, im Fiktiven. Jenseits der Religion bleibt nichts anderes als ein nicht weniger brüchiges als ob.
Dienstag, 22. August 2023
970
Der freiheitliche säkulare Rechtsstaat ist weltanschaulich nicht neutral. Der theoretische Grund, der diesen Staat trägt und den teilen muss, wer diesen Staat positiv mittragen will, setzt eine spezifische Weltanschauung voraus. Auch muss der moderne Rechtsstaat an seinen Grenzen weltanschaulich ausschließen. Unter seinem Dach finden hier allein noch jene Weltanschauungen Raum, die andere Weltanschauungen und ihre Praxis zumindest neben sich dulden können, die zugleich ihre eigene weltanschaulich geforderte Praxis auf das einzuschränken fähig und bereit sind, was der Rechtsstaat um seiner selbst Willen noch zulassen kann.
Sonntag, 20. August 2023
969
Nach einigen Tagen in Berliner Atmosphäre noch einmal meine radikale Kritik, meine Wurzelkritik unseres politischen Systems.
968
Der Religiöse bedarf nicht der Erfahrung. Er erwartet etwas vom und im Wirklichen, ist also so gesehen Idealist. Als solchem hilft ihm allerdings auch keine Erfahrung. Der Religiöse als Idealist lässt sich von Erfahrung nicht irritieren.
Der Glaubende dagegen bedarf der Erfahrung. Glaube setzt Erfahrung voraus. Die Erfahrung nämlich, dass das Wirkliche nicht hält, was es verspricht, was man sich von ihm verspricht. Erfahrung ist eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingung des Glaubens. Hinzutreten müssen die Bereitschaft zur Verzweiflung im Wirklichen und die Bereitschaft zur Preisgabe des Wirklichen.
Montag, 14. August 2023
967
Gnade setzt das Gesetz aus, indem sie Verknotungen des Gesetzes verhindert. Auch, indem sie Verknotungen des Gesetzes löst. Wobei sich manche Verknotungen allein noch lösen lassen, indem man sie durchschlägt. So gesehen ist so etwas wie gnädige Politik, so etwas wie Politik der Gnade wohl durchaus denkbar.
Sonntag, 13. August 2023
966
Berlin: wohl die Stadt, in der das Phänomen der Gleich-Gültigkeit gegenwärtiger ist als sonst wo in Deutschland, zugleich auch das Phänomen der Vereinsamung des gleich-gültigen Individuums, gedämpft durch das Phänomen der Zuflucht in tribale Strukturen.
Diagnostisch ist mir Berlin, sind mir die Menschen in Berlin sehr nahe, interpretatorisch und praktisch könnte die Differenz größer nicht sein. Was mich vor allem auf Weltenabstand bringt: die nicht selten aggressiv geladene Selbstbehauptung bis hin zur geradezu autistischen Selbstinszenierung. Mit ihr sieht man sich konfrontiert, sobald man in Berlin die Straße betritt. Trotzige In-Sich-Selbst-Verkrümmtheit, wie sie sich schärfer kaum äußern kann.
Diagnostisch ist mir Berlin, sind mir die Menschen in Berlin sehr nahe, interpretatorisch und praktisch könnte die Differenz größer nicht sein. Was mich vor allem auf Weltenabstand bringt: die nicht selten aggressiv geladene Selbstbehauptung bis hin zur geradezu autistischen Selbstinszenierung. Mit ihr sieht man sich konfrontiert, sobald man in Berlin die Straße betritt. Trotzige In-Sich-Selbst-Verkrümmtheit, wie sie sich schärfer kaum äußern kann.
965
Diskurs kann Wirklichkeit aufklären. Diskurs kann Wirklichkeit auch bewegen. Wirklichkeit ändern kann Diskurs jedoch nicht. Schon gar nicht die Wirklichkeit in der Person der Diskursteilnehmer. Spätestens hier stößt Diskurs an die Grenzen der Natur, an die Grenzen der ersten und zweiten Natur, an die Grenzen des natürlich Möglichen. Man darf die Rechnung nicht ohne den Wirt machen.
Samstag, 12. August 2023
964
In wissenschaftlichen Gültigkeitsdiskursen sucht man in der Regel nach Etiketten, die man den einzelnen Positionen anheften kann. Wenn man mein Denken etikettieren wollte, so würde man wohl davon sprechen können, dass ich einen reservativen Messianismus vertrete.
Donnerstag, 10. August 2023
963
Stau. Jener Zustand, in dem sich für mich das Ärgernis des Wirklichen in einer Nussschale konzentriert. Im Stau sind wir dem kontingenten Zwang des Wirklichen ohnmächtig ausgeliefert. Wir können nicht mehr verfügen. Es wird ohne Vernunft und Sinn über uns verfügt. Unser Wille muss pausieren. Die Differenz zwischen vorgestellter und wirklicher Wirklichkeit wird in einem Augenblick des Wirklichen unendlich groß. Im Stau fällt es mir schwerer als sonst- und anderswo, mir selbst gegenüber, gegenüber den Gesetzen meiner eigenen Natur zumindest eine gewisse Unabhängigkeit zu wahren. Meine Familie weiß davon das eine oder andere Lied zu singen.
Mittwoch, 9. August 2023
962
Gnade ist wirklich, wenn das Gesetz aussetzt. Man könnte auch sagen: Gnade scheint auf, wenn das Gesetz einen Aussetzer hat.
Freiheit ist nicht das Vermögen, einen Zustand oder eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen (Kant). Freiheit ist vielmehr das Vermögen, das Gesetz auszusetzen.
Gnade ist nicht möglich ohne Freiheit, und Freiheit ist immer gnädig. Freiheit ist immer ein Akt der Gnade. Allein als Gnade ist Freiheit wirklich.
Sonntag, 30. Juli 2023
961
Wissenschaft betreiben wir heute so, wie wir früher Religion betrieben haben: Wir mühen uns um Fortschritt in der Erkenntnis, bleiben dabei jedoch dogmatisch und moralisch treu in der Spur.
Vieles spricht für diesen Wissenschaftsbetrieb. In dessen Betriebsamkeit bleibt uns allerdings das auch mögliche Andere verborgen und unzugänglich.
Vieles spricht für diesen Wissenschaftsbetrieb. In dessen Betriebsamkeit bleibt uns allerdings das auch mögliche Andere verborgen und unzugänglich.
Samstag, 22. Juli 2023
960
Gestern Oppenheimer angeschaut. Der Film hat gewisse Längen, vermag aber durchaus zu beeindrucken. Drei kurze Nachgedanken.
Wir sind heute in eine atomare Arglosigkeit hineingerutscht, die für Oppenheimer noch unvorstellbar war. Wir halten den Einsatz von Atomwaffen für so unwahrscheinlich oder so beherrschbar, dass wir es wieder riskieren, konventionelle Kriege zu führen.
Gott würfelt nicht. Daran hat Einstein bis zuletzt festgehalten. Er kann inzwischen als widerlegt gelten. Die Quantenphysik ist das endgültige Ende eines gesetzlich bestimmten und gesetzlich bestimmbaren Gottes. Die Quantenphysik versetzt dem christlichen Gott sowohl in seiner substanzialistischen als auch in seiner nominalistischen Variante den Todesstoß.
Obwohl wir inzwischen wissen, dass es ein uns sicherndes Ding an sich nicht gibt, obwohl in der Tiefe der Wirklichkeit kein letztes Gesetz, sondern eine letzte Unbestimmtheit auf uns wartet, greifen wir zur Bestimmung unserer Existenz nach wie vor auf das Gesetz, auf Gesetze, auf Gültigkeiten zurück. Verrückt.
Freitag, 21. Juli 2023
959
Ein geschickter Schachzug der christlichen Theologie in römischer Tradition: die Identifikation des Anomos (2 Thess 2,8) mit dem johanneischen Anti-Christen (1 Joh 2 u. 4, 2 Joh 7). So beugt man dem Verdacht vor, in 2 Thess 2 könnte das Christentum selbst gemeint sein. Wenn man sich hier jedoch die Skizze des Anomischen genauer anschaut: die Beschreibung passt durchaus. Allerdings: Dann kann natürlich der wiederkommende Messias nicht identisch sein mit dem wiederkommenden Christus.
Donnerstag, 20. Juli 2023
958
Es sind nicht die Klima-Kleber, die uns Sorgen bereiten müssen. Sie sind bloß eines von vielen Symptomen, ein Symptom für das, was uns eigentlich Sorge bereiten muss: unsere kaum noch zu lösende Weltverklebung überhaupt. Wir alle haben uns auf die eine oder andere Weise an die Welt geklebt, und so geraten wir alle auf die eine oder andere Weise früher oder später unter existenziellen Druck. Wichtiger, als die Klima-Kleber von den Straßen und Plätzen zu lösen, ist also dies: ein geeignetes Lösemittel finden für unsere eigene Verklebung mit der Welt.
957
In meiner Kindheit wurden mir zahllose christliche Wahrheiten eingeprägt, Wahrheiten, die sich mir bis heute immer wieder einmal vor Augen stellen. Jede dieser Wahrheiten sehe ich heute natürlich in einem neuen, anderen Licht. Dabei die spannende Beobachtung: Viele christliche Wahrheiten sind unwahr. Es gibt aber auch christliche Wahrheiten, die dann wahr werden, wenn man sie nicht christlich, sondern messianisch interpretiert.
956
Es gibt ein gängiges, oft mit einem normativen Beigeschmack versehenes Adjektiv, von dem ich in meinen eigenen Texten, soweit ich sehe, noch keinen Gebrauch gemacht habe: irgendetwas sei oder sei nicht mehr zeitgemäß. Ich habe keine Verwendung für diesen Begriff, weil ich nicht sehen kann, inwiefern die Zeit, inwiefern die Mode befehlen könnte, was zu denken oder nicht zu denken, was zu tun oder nicht zu tun sei.
Nur in einem Sinne ließe sich das Adjektiv vielleicht gebrauchen: wenn mit zeitgemäß angezeigt werden soll, dass man hinter bestimmte Aufklärungen und Entzauberungen nicht mehr zurück kann.
Sonntag, 16. Juli 2023
955
Es ist richtig, was man über die sogenannte Generation Z sagt: Menschen dieser Generation können und wollen den funktionalen Zwängen unseres kulturellen Systems nicht mehr so Folge leisten, wie es Menschen früherer Generationen noch konnten und wollten. Was dabei Ursache, was Wirkung ist, ob das Fehl des Wollens das des Könnens bedingt oder umgekehrt, sei einmal dahingestellt. In jedem Falle macht uns die Generation Z mit Ihrem Fehl des Könnens und Wollens ein Angebot: das Angebot eines kulturellen Systemwechsels, zumindest das einer kulturellen Entspannung. Ob die Generation Z dieses Angebot allerdings selbst annehmen will, scheint mir zumindest zweifelhaft. Sie macht uns ihr Angebot ja unter den Bedingungen eines komfortablen Wohlstandsüberschusses. Dieser Überschuss würde jenseits der spezifischen Mechanik unseres kulturellen Systems rasch aufgebraucht sein. Und das Leben, das dann noch möglich wäre, müsste man erst einmal wollen.
954
Zu Nr. 911: Vor einigen Tagen hat Carsten Breuer, der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, seine erste sicherheitspolitische Grundsatzrede gehalten. Breuer umkreist hier den Begriff der Zeitenwende, die er vor allem als Gedankenwende zu verstehen fordert. Vieles soll neu gedacht werden. Breuer verlangt nicht zuletzt einen grundlegenden Mentalitätswandel innerhalb der Bundeswehr. Einen Wandel hin zu einer inneren Haltung, die uns wehrfähig macht, die uns befähigt, Kriege zu gewinnen.
Was Breuer offenbar nicht sieht: Er beraubt sich selbst der wesentlichen Voraussetzung für den gewünschten Aufbruch. Weil er an dem festhält, was wesentliche Mitursache dafür ist, dass die Bundeswehr heute strukturell, dass die Soldaten der Bundeswehr heute mental kriegsuntüchtig sind: am Bürgersoldaten. Breuer beendet seine Rede mit der nostalgischen bürgerlichen Parole, wir alle seien die geborenen Verteidigerinnen und Verteidiger unseres Landes. Damit beendet er zugleich die geforderte Wende, bevor sie überhaupt angefangen hat.
Was Breuer offenbar nicht sieht: Er beraubt sich selbst der wesentlichen Voraussetzung für den gewünschten Aufbruch. Weil er an dem festhält, was wesentliche Mitursache dafür ist, dass die Bundeswehr heute strukturell, dass die Soldaten der Bundeswehr heute mental kriegsuntüchtig sind: am Bürgersoldaten. Breuer beendet seine Rede mit der nostalgischen bürgerlichen Parole, wir alle seien die geborenen Verteidigerinnen und Verteidiger unseres Landes. Damit beendet er zugleich die geforderte Wende, bevor sie überhaupt angefangen hat.
Sonntag, 9. Juli 2023
953
Zu Nr. 433: Selbstverständlich ist es nicht wirklich möglich, im Wirklichen auf nichts mehr hinaus zu wollen. Indem man auf nichts mehr hinaus will, will man ja auch auf etwas hinaus. Aus diesem Zirkel gibt es kein Entkommen. Die Fiktion jedoch, auf etwas so hinaus zu wollen, als ob man nicht darauf hinaus wollte, verändert im Wirklichen alles. Von allem, worauf man hinaus will, bleibt man durch diese Fiktion hindurch immer zugleich unabhängig.
Sonntag, 25. Juni 2023
952
Das Vorzügliche, zugleich das Verwirrende an der Ungültigkeitsperspektive auf die kulturelle, soziale, politische Wirklichkeit: man sieht Analogien und Gemeinsamkeiten, wo andere nur Differenzen und Grenzen sehen.
951
Der Anti-Christ – das ist der Messias selbst.
950
Ereignisse lassen sich nicht zwingen. Weder durch Vorbereitung noch durch Konstruktion.
Samstag, 24. Juni 2023
949
Helle Aufregung wegen einer Behauptung im Rahmen der Abschlusspredigt des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2023: „Gott ist queer“. Ist die Diagnose zutreffend, dass das Christentum sich zuletzt „im Nihilismus und als Nihilismus“ erfüllt (Nancy, siehe Nr. 42), dass also das Christentum erzählerisch auf die Gleich-Gültigkeit aller Gültigkeiten hinausläuft, dann ist diese Behauptung selbstverständlich ganz christlich. Jede, insbesondere jede konservativ-restaurative Aufregung scheint dann unaufgeklärt. Die Aufgeregten bewegen sich im selben Erzählraum, stehen auf der erzählgenealogischen Linie lediglich noch an einem anderen Punkt.
Freitag, 23. Juni 2023
948
Nicht wenige erwecken bloß deshalb den Eindruck, sie seien intelligent und zu denken fähig, weil sie in der Sprechpraxis ihrer eigenen Erzählung, ihres eigenen Sprachspiels erfahren und geübt sind.
947
Das Christentum steht in der Nachfolge Kains. Sein Kainsmal ist das Kreuz.
946
Futur II: mehr Zuversicht geht nicht. Allerdings: mehr Verblendung auch nicht (zu Nr. 788).
Sonntag, 18. Juni 2023
945
Willst Du Dich auf eine Beziehung, auf eine Partnerschaft einlassen, dann frage Dich zunächst: Will ich mir die Bedürfnisse des anderen dauerhaft zur Aufgabe machen, und dies auch dann noch, wenn sich der andere meine eigenen Bedürfnisse nicht (mehr) zur Aufgabe machen kann? Hast Du diesen Willen nicht, so bleibe besser allein.
944
Es ist ein oft haarfeiner Unterschied: sich binden oder gebunden werden. Die Kunst, sich zu binden, ist selten geworden. Sie geht unter der Dominanz der Verbindlichkeiten verloren. Insbesondere unter der Dominanz jener Verbindlichkeiten, die den Anschein erwecken, wir hätten eine Wahl.
943
Das erste Opfer der Wokeness ist die Abstraktion, das zweite die Differenzierung.
Montag, 29. Mai 2023
942
Eine Beobachtung zur Verunsicherung der Geschlechter: Auf der Suche nach Identität fliehen Menschen vor Rollenidealen, denen sie nicht gerecht werden können oder wollen. Dabei fliehen sie allerdings hinein in Rollenideale, denen sie ebenso wenig gerecht werden können oder wollen. Suchend und fliehend, fliehend und suchend bleiben Menschen so oder so gefangen im Symbolischen, im Repräsentativen, gefangen vor allem auch in einer stets irreführenden und nie wirklich vorfindlichen oder erfahrbaren Vorstellung von Eindeutigkeit.
Gerade auch in der Verunsicherung der Geschlechter könnte die fiktive Überwindung des Symbolischen, des Repräsentativen seine befreiende Wirkung entfalten. Sie könnte befreien zur Anerkennung und Handhabung dessen, was natürlich wie kulturell vorfindlich und nicht oder nur in engen Grenzen variabel ist. Sie könnte zugleich befreien zur Anerkennung und Handhabung dessen, was daneben und darüber hinaus natürlich wie kulturell auch noch wirklich und möglich ist. Die fiktive Überwindung des Repräsentativen könnte also zu dem befreien, wonach wir in der Verunsicherung der Geschlechter und der Verwirrung der Rollenideale letztlich suchen: zu wirklicher Diversität, gerade auch in unserer eigenen Person.
Sonntag, 7. Mai 2023
941
Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Man kann auch nicht zweimal denselben Gedanken denken. Das müsste jedem Dogmatiker, das müsste vor allem jedem Ideologen zu denken geben.
940
Für das raum-zeitliche Beieinandersein von differenten Wirklichkeitsinterpretationen wäre schon viel gewonnen, wenn wir unsere je eigene Interpretation nicht als Wahrheit sondern als Wirkung, nicht als Substanz sondern als Symptom begreifen würden (siehe Nr. 6).
Montag, 1. Mai 2023
939
Nach dem Ende von Religion und Metaphysik erleben wir derzeit so etwas wie eine Naturalisierung des Normativen – verbunden mit der Hoffnung, im Natürlichen den verlorenen Halt, die verlorene Stabilität wiederzufinden.
Die nicht wirklich überraschende Entdeckung ist jedoch diese: Das Natürliche bietet normativ nur dann Halt und Stabilität, wenn ihm ein religiöser oder metaphysischer Über- oder Unterbau vorausgesetzt wird. Ohne Kosmologie keine Norm, keine Verbindlichkeit, kein Halt, keine Stabilität in der Natur.
Die Naturalisierung des Normativen kann also nur scheitern, weil sie noch nicht einmal auf Sand, weil sie letztlich in die Luft hinein zu bauen versucht. Wer das Normative naturalisiert, der baut nichts anderes als Luftschlösser.
Anmerkung: Gerade dies ist ja der eigentümliche Winkelzug jeder Kosmologie der Natur, insbesondere auch der römisch-christlichen Naturrechtslehre: Vorgetäuscht wird eine der Natur innewohnende, nicht zuletzt moralisch verbindende Ordnung, tatsächlich aber wird diese Ordnung nicht zuletzt in moralischer Absicht in die Natur hineininterpretiert.
938
In der deutschen Politik werden Forderungen laut, den Beruf des Soldaten in den deutschen Streitkräften unabhängiger zu machen von der deutschen Staatsbürgerschaft. Wie gesagt (siehe Nr. 875): Diesen Gedanken habe ich schon vor vielen Jahren vorgetragen. Ich will nicht verhehlen, dass ich die aktuelle Suche nach einem Neuansatz im deutschen Streitkräfteverständnis durchaus mit einer gewissen Genugtuung verfolge – in stiller Erinnerung an Senecas Beobachtung: Fata volentem ducunt, nolentem trahunt. Den Willigen führt, den Unwilligen schleift das Schicksal (siehe auch Nr. 911, 915).
937
Unsre Deutungszugänge zum Wirklichen, unsere Interpretationszugriffe auf das Wirkliche, unsere religiösen und säkularen Erzählungen, unsere theologischen und philosophischen Sprachspiele: Relevant ist nicht ihre vermeintliche Wahrheit, relevant sind ihre wirklichen Wirkungen.
Gerade hinsichtlich der Wirkungen unserer Erzählungen ist unser Bewusstsein mit natürlicher Kurzsichtigkeit, geradezu mit Blindheit geschlagen. Die Wirkungen unserer Erzählungen sind nicht notwendig und sinnvoll, sie sind kontingent und paradox. Wer das durchschaut hat, wer das sieht, der ist dem alten theologischen Geheimnis des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium zumindest auf der Spur.
Sonntag, 23. April 2023
936
Menschen mit Prinzipien. Sie gelten im Allgemeinen als zuverlässig, als verlässlich. Allerdings: Menschen mit Prinzipien neigen dazu, uns gerade dann zu verlassen, wenn wir sie besonders dringend brauchen. Dann, wenn ohne oder gegen Prinzipien entschieden werden muss.
Im Allgemeinen darf man ja durchaus Prinzipien haben und folgen – wenn man darüber nicht den Mut verliert, auch das Einzelne zu wagen.
935
Menschen genießen es, wenn sie sich treiben lassen, wenn sie ihren Neigungen Folge leisten. Sie genießen es gleichermaßen, wenn sie sich Begrenzungen auferlegen, wenn sie sich Normen unterwerfen. Vor allem aber genießen sie das Drama, dass sich zwischen dieser und jener Befriedigung ereignet, zwischen Neigung und Norm. Und in allem genießen sie letztlich nichts anderes als dies: ihr Selbstmitleid.
934
KI in den Geistes- und Sozialwissenschaften – eine Chance für jene, die denken wollen und können. Alle anderen werden früher oder später überflüssig. Taugen allenfalls noch zum Bediener oder zum Bediensteten. Also zu dem, was sie im Grunde genommen jetzt schon sind.
Samstag, 22. April 2023
933
Wirklichkeit ändern heißt immer auch Wirklichkeit destruieren. Unser (christliches) Streben nach Veränderung, Verbesserung, Optimierung des Wirklichen hat immer auch etwas Zerstörerisches.
932
Das, was man heute Work-Life-Balance nennt, lässt sich – soll der gewünschte Zustand nicht bloß Eliten vorbehalten bleiben – nur haben, wenn man bereit ist das aufzugeben, was uns allererst in die Lage versetzt hat, so etwas wie Work-Life-Balance zu ersehnen und zu erstreben.
931
Jedes Denken, das dem Wirklichen Ausdehnung und Substanz nimmt, ist hilfreich.
Sonntag, 16. April 2023
930
Mindset. Einer dieser populären Begriffe, der uns so etwas wie Selbstmächtigkeit zu suggerieren versucht. Als sei das, was unsere Wahrnehmungen und Haltungen bestimmt, so etwas wie ein Baukasten. Als ließe sich mit dem, was unser Bewusstsein bedingt, so verfahren, wie mit Bauklötzen.
929
Beides ist töricht: sich dem moralischen Gesetz unterwerfen und das moralische Gesetz ignorieren.
Montag, 10. April 2023
928
Moral injury: Dem, was gegenwärtig ist und wird, kann unser Bewusstsein kaum noch standhalten (zu Nr. 925).
Freitag, 7. April 2023
927
Was meint das lateinische Präfix post in der Sprache des Denkens: undenkbar ohne das Vorhergehende, zugleich in ein Jenseits des Vorhergehenden vordringend. In gewissem Sinne bleibt also jedes Denken unter dem Präfix post in der Spur. Es spurt, es verlässt nicht die Spur, tritt nicht aus ihr heraus.
926
Unter meinen eigenen religiösen Voraussetzungen stand ich im Grunde genommen über Jahrzehnte im Bann von Idealen, die ich selbst als Verheißung begriffen habe. Dies bis zu jenem Moment meines Lebens, in dem sich so etwas wie eine post-kantische kopernikanische Wendung ereignet hat, in dem ich alle Verheißungen und Ideale habe fahren lassen (müssen). Im Moment einer interpretatorischen Wendung vom religiösen und metaphysischen als ob hin zum post-religiösen und post-metaphysischen als ob nicht. Einer Wendung, die in einer prä-kulturellen Pointierung ihre letzte Aufklärung erfährt (siehe Nr. 740, 743, 744, 793, 798).
Heute stelle ich mir bisweilen die selbstprovozierende Frage, was wäre, wenn die als Verheißung begriffenen Ideale künftig doch noch weltwirklich würden. Würde sich dann die mittlerweile verworfene religiöse oder metaphysische Interpretation nachträglich doch noch als wahr erweisen?
Gedanke am Rande: Die kopernikanischen Wendungen, die uns Kant im Wissen, im Tun und im Hoffen zumutet, lassen sich mit guten Gründen als Umdeutungen religiöser Motive begreifen. Kants Wendungen wirken immer entzaubernd und aktivierend zugleich. Dabei ist kaum eine andere Wendung so wirkungsreich, wie die Wendung der religiösen Verheißung zur regulativen Idee.
Sonntag, 2. April 2023
925
Vor einigen Tagen habe ich die Begutachtung einer Bachelorarbeit zu moralischen Verletzungen abgeschlossen. Das Phänomen moral injury wird gerade auch in militärischen Kontexten zunehmend relevant. Auch dieses Phänomen ist symptomatisch für die Lage der Generation, die bald genötigt sein wird, öffentliche Verantwortung zu übernehmen. Einige kurze diagnostische Andeutungen.
Samstag, 1. April 2023
924
Gelegentlich teste ich jene vermeintliche Intelligenz, die derzeit so viel Aufmerksamkeit erregt: die OpenAI ChatGPT.
923
Vorsicht bei der Handhabung jener, die das jeweils gegenwärtig Modische im Raum des Öffentlichen in den Raum des Verborgenen hineinziehen, die nicht zwischen Mittelbarem und Unmittelbarem, zwischen Vermittelbarem und Unvermittelbarem zu unterscheiden wissen, die dem Allgemeinen auch im Einzelnen Folge leisten. Vorsicht aber auch bei der Handhabung jener, die sich im Verborgenen, im Unmittelbaren, im Einzelnen zum Auf- und Widerstand gegen das jeweils modische Öffentliche, das Vermittelbare, das Allgemeine zusammenrotten. Schließe Freundschaft weder mit den einen noch mit den anderen.
Samstag, 25. März 2023
922
Nachhaltigkeit – einer dieser janusköpfigen Gültigkeitsbegriffe, deren Gaukeleien wir gegenwärtig so gerne auf den Leim gehen. Nachhaltigkeit verspricht uns so etwas wie Freiheit: Freiheit vom gefährlichen Massenverbrauch des Wirklichen. Hinter dem Schein der Freiheit zielt dieser moraltriefende Begriff jedoch auf eine Weltgefangenschaft, deren wirkliche Wirkung allenfalls eine scheinbare Verzögerung, nicht aber eine Unterbindung oder gar Überwindung des Wirklichkeitsverbrauchs sein kann (siehe auch Nr. 388).
Freitag, 24. März 2023
921
Kürzlich der Hinweis eines väterlichen Freundes auf eine Neuerscheinung: Sebastian Kleinschmidts Kleine Theologie des Als ob. Die Lektüre hat meine Erwartungen, oder treffender: meine Befürchtungen bestätigt. In der Annahme, einen neuen, womöglich hilfreichen Gedanken zu formulieren, demonstriert der Essayist letztlich bloß, wie unbedarft er theologisch eigentlich ist. Er weiß offenbar nicht, an welchem Ort des theologischen Denkens er mit seinem Essay überhaupt steht.
Donnerstag, 23. März 2023
920
Dem Allgemeinen sind wir als Einzelne immer bloß statistische Größe.
919
Die gegenwärtig nachwachsenden Generationen verstehen sich selbst als außergewöhnlich wach, als in besonderem Maße wachsam. Wenn ich allerdings auf die Ausprägungen und Ausmaße ihres Wirklichkeitsgehorsams blicke, dann scheinen mir diese Generationen tiefer zu schlafen und irreführender zu träumen, als sämtliche Generationen zuvor.
Mittwoch, 22. März 2023
918
Vor gut 45 Jahren hat sich in meinem Leben das ereignet, was ein Arztbericht kürzlich als „erworbene Deformität der Nase“ bezeichnet hat.
Donnerstag, 23. Februar 2023
917
Es ist ein Widerspruch in der Kultur der Gleich-Gültigkeit. Ausgehend von der Annahme, dass es eine absolute Gültigkeit nicht gibt und dass keine Gültigkeit gegenüber anderen Vorrang beanspruchen darf, fordert und erzwingt diese Kultur die Gleich-Gültigkeit aller Gültigkeiten. Dies kann sie allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie die Gleich-Gültigkeit selbst absolut setzt.
916
Einer der wesentlichen dogmatischen Geburtsfehler des Christentums: die Annahme, die Weltwirklichkeit solle nach Gottes Willen sein. Unter dieser Voraussetzung sind Wissen, Sollen und Hoffen heillos durcheinander geraten.
Montag, 20. Februar 2023
915
Aktuell müht sich die Bundeswehr – wie üblich um diese Jahreszeit – noch einmal nachdrücklich um künftige Führungskräfte. Mit einer bundesweit sichtbaren Kampagne will sie Bewerber für die Offizierlaufbahn generieren.
Die Führungskräftewerbung der Bundeswehr lebt seit Jahren von der Voraussetzung, dass man im Kampf um die Besten des Nachwuchses konkurriert mit den anderen großen Anbietern auf dem zivilen deutschen Arbeitsmarkt.
Zu diesem Kategorienfehler zwingt uns die nach wie vor vorausgesetzte Idee der Bürgerarmee. In dem damit erzwungenen Konkurrenzkampf kann die Bundeswehr nur unterliegen, insbesondere in mehr oder weniger offensichtlich bedrohlichen Zeiten.
Angemessener wäre es dagegen, bei der Werbung um Nachwuchs davon auszugehen, im Kampf um die Besten mit den anderen großen Armeen dieser Welt zu konkurrieren. Der Weg zu dieser Voraussetzung ist aber gerade für die Bundeswehr unendlich weit.
Sonntag, 19. Februar 2023
914
Wir setzen heute nicht deshalb auf Diskurs, weil mit seiner Hilfe, weil auf seinem Wege Wahrheit ausfindig zu machen wäre. Wir setzen auf Diskurs, weil uns Wahrheit als etwas Auffindbares nicht mehr zur Verfügung steht. Nicht mehr im Sinne einer unsichtbaren, tiefen, hinter den Erscheinungen sich verbergenden Wahrheit, im Sinne einer geteilten oder teilbaren substanziellen Wahrheit.
Was uns als Wahrheit noch geblieben ist, ist das, was man kausale oder funktionale Wahrheit nennen könnte. Diese Wahrheit lässt sich durchaus am besten im Diskurs aufdecken und teilen – allerdings auch immer bloß näherungsweise und flüchtig. Diskurs ist daher nicht mehr als das Instrument einer pragmatischen Hoffnung, die in einem ewigen Aufschub gefangen bleibt, gefangen bleiben muss.
Ähnliches gilt übrigens im Raum des Politischen auch für das Instrument der Demokratie. Diese Wahrheit über Diskurs und Demokratie muss unausgesetzt bewusst gehalten werden, weil wir uns unausgesetzt nach einem Mehr an Wahrheit sehnen, weil wir auch von Diskurs und Demokratie unausgesetzt ein Mehr an Wahrheit erhoffen. Ob Diskurs und Demokratie überhaupt dauerhaft stabil gelingen können, ohne dass beide von einem Mehr an geteilter Wahrheit getragen werden – das ist eine andere Frage.
Freitag, 17. Februar 2023
913
Kulturen nehmen immer auch normativ Einfluss auf den Willen des Einzelnen. Unter Bedingungen der Kultur schwindet die Kunst des Wollens. Weil Kultur die Selbstorientierung des Einzelwillens durch allgemeine praktische Selbstverständlichkeit, weil Kultur die Selbststärke des Einzelwillens durch allgemeine soziale Einbettung verdrängt und ersetzt. Und doch ist der normierende Ersatzwille der Kultur traditionell immerhin ein Wille gewesen – ein Wille, der es dem Einzelnen ermöglicht hat, sich selbst zu handhaben, der dem Einzelnen Mittel bereit gestellt hat, seine eigene Natur einschließend oder ausschließend zu regulieren und so zu kanalisieren.
Donnerstag, 16. Februar 2023
912
Verwundert, oft zunächst auch ein wenig unbeholfen. So nehme ich mich in der Gegenwart von Menschen wahr, die immer und überall unvermittelt Antworten haben und aufdrängen, ohne jemals ernsthaft Fragen gestellt zu haben. Wie soll mit solchen Menschen Kommunikation oder gar Verständigung wenigstens halbwegs gelingen? Eine Herausforderung sind solche Menschen vor allem dann, wenn sie führen, wenn ihre Antworten also mit Macht hinterlegt sind. Dann sind in der Handhabung ihrer Antworten sehr viel Wachsamkeit und Geschick erforderlich.
Sonntag, 12. Februar 2023
911
Warum ich annehme, dass wir in Deutschland Idee und Praxis der Bürgerarmee in ihren verschiedenen Erscheinungsformen hinter uns lassen müssen (zu Nr. 875).
Mittwoch, 8. Februar 2023
910
Wie alt wir auch werden: Es gibt in uns die Wahrnehmung eines Da- und In-der-Welt-Seins, eines Bei-sich- und Mit-sich-Seins, das uns merkwürdig unveränderlich erscheint. Dieses uns unveränderlich erscheinende Sein ist wohl die wesentliche Ursache dafür, dass wir unser Alter anders wahrnehmen als diejenigen, die äußerlich bei und mit uns sind.
Sonntag, 5. Februar 2023
909
Am vergangenen Neujahrstag in Zandvoort an der niederländischen Küste mit einem Freund eher ungeplant und unvorbereitet am traditionellen Nieuwjaarsduik teilgenommen. Ein großer Spaß!
Meine Frau lässt die Kamera mitlaufen. Hinterher beim Betrachten der Aufnahmen wieder einmal diese irritierende Selbstbeobachtung: Der Mensch, den meine Frau dort im Video festgehalten hat, erscheint mir merkwürdig fremd. Es gibt eine befremdliche Abweichung zwischen der nachträglichen Außenwahrnehmung als Betrachter und der aktuellen Innenwahrnehmung als Handelnder. Derridas différance ist auch in allen Wahrnehmungen: unendliche Abweichung, unendlicher Aufschub, unendliche Nicht-Präsenz (siehe Nr. 34, 687).
908
Im Beieinandersein von Menschen wirkt das Recht immer den Verlust der Unmittelbarkeit.
Ein Beieinandersein von Menschen, das zuletzt ausschließlich noch im Recht gründet, verliert früher oder später jede Unmittelbarkeit.
Was sichert im Beieinandersein von Menschen die Unmittelbarkeit, wenn uns für die Gründung des Beieinanderseins von Menschen nichts anderes mehr bleibt, als das Recht? Auch das ist die Frage Böckenfördes (siehe Nr. 21, 595, 778).
Sonntag, 22. Januar 2023
907
Der Fehler aller abendländischen Dualismen: die Herauslösung und Überhebung von Geist oder Bewusstsein aus und über Materie oder Natur, zugleich die mehr oder weniger nach Identifikation strebende Annäherung von Geist oder Bewusstsein an eine transzendente oder transzendentale Gottheit oder Rationalität. Die Folge: ein hochmütiger und ewig konfrontativer Gültigkeitsdualismus, ein unendlicher Streit zwischen Geist und Materie, Bewusstsein und Natur.
Gegen die folgenreiche abendländische Konfrontation von bewusstem, geisterfülltem Menschen und unbewusster, geistloser Welt helfen keine wie auch immer gearteten Integrationsbemühungen. Es hilft allein ein radikal anderer Dualismus, ein Ungültigkeitsdualismus, der nicht nur über Materie oder Natur, der vielmehr auch über Geist oder Bewusstsein die demütigende Annahme ausspricht: als ob nicht. Mit dieser Annahme wäre das Ende jedes gültigkeitsdualistischen Hochmuts beschlossen.
Dienstag, 17. Januar 2023
906
Angesichts der Geschlechterirritationen unserer Tage mit Freunden noch einmal die christliche Schöpfungserzählung durchdacht. Nach wie vor und immer mehr bin ich davon überzeugt, dass wir uns von dieser Erzählung verabschieden müssen (siehe u.a. Nr. 102) – unabhängig davon, ob der Schöpfungsgedanke in katholischer Tradition eher von der Analogie oder in protestantischer Tradition eher von der Differenz von Schöpfer und Schöpfung her entwickelt ist.
Sonntag, 15. Januar 2023
905
Wir müssen jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen versuchen, uns in eine nomadische Existenzweise hinein umzuprägen. Dabei gilt es zugleich, neue Formen der Verbindlichkeit für unser soziales und politisches Beieinandersein ausfindig zu machen. Das Recht – wie andere bekannte Formen der Verbindlichkeit – wird sich künftig nicht mehr eignen, wird uns künftig nicht mehr hilfreich sein. Das Recht ist die Verbindlichkeit der Sesshaften.
Samstag, 14. Januar 2023
904
Vorsicht: Unsere Bilder von dem, was wir wollen, können abweichen von dem, was wir wirklich wollen.
Freitag, 13. Januar 2023
903
Noch einmal: was es in reservativer Perspektive heißt, dass Denken Leben wird, dass sich die eigene Interpretation in der eigenen Existenz realisiert (zu Nr. 893). Es meint, dass das Außer-Ich-Ich als interpretierende Instanz des Selbst (Nr. 105) zur bestimmenden Instanz wird. Mehr noch: dass das Außer-Ich-Ich zum eigentlichen Ich, zum Kern-Ich wird, gewissermaßen zur zweiten, zur wesentlichen fiktiven Andersnatur. Das ist es, worauf reservatives Interpretieren therapeutisch, selbsttherapeutisch hinausläuft, wonach es strebt, wohin es drängt: Fiktive Ungültigkeit als Sache selbst wird zum wirklichkeitsrelevant herrschenden Ich. Und erst dann, wenn dieses wirklich unendliche Ringen einigermaßen etabliert ist, kann man das zu erahnen beginnen, was reservatives Denken im Wirklichen bewirken, was es gewissermaßen als Wirklichkeit hervorbringen will: Mündigkeit.
Sonntag, 8. Januar 2023
902
In unseren Gottesbildern spiegelt sich immer auch unser Verhältnis zum Wirklichen. Abhängig davon, was wir vom Wirklichen erwarten und abhängig davon, was uns im Wirklichen widerfährt, ist die Geschichte unseres Wirklichkeitsverhältnisses eher eine Erfüllungs- oder eher eine Enttäuschungsgeschichte. Entsprechend ist die Geschichte unserer Gottesbilder eher eine Konsolidierungs- oder eher eine Entzauberungsgeschichte.
Erweist sich das Wirkliche eher als enttäuschend, so verliert unser Gott seinen Zauber. Jenseits der Entzauberung lassen manche ihren Gott unbestimmt, manche interpretieren ihn um, manche verwerfen ihn. Auch hier ist wiederum unser Verhältnis zum Wirklichen maßgebend, das sich jenseits der Entzauberung in seiner Eigentlichkeit offenzulegen beginnt. Es offenbart sich nun vor allem unser Verhältnis zu uns selbst als Wirklichkeit. Man kann auch sagen: In unserem Gottesbild spiegelt sich immer auch unser Selbstbild. In unserem Gott spiegelt sich immer auch unser Selbst.
Samstag, 7. Januar 2023
901
Es ist unklug, als unpassend oder unbequem empfundene Konstellationen oder Umstände vorschnell zu verändern. Es kann sich als besser herausstellen, Konstellationen und Umstände so lange durchzuharren, bis sich unsere Haltung zum Wirklichen verändert hat.
900
Alter ist nur eine Zahl, so sagt man heute. Das ist eine besorgniserregende Feststellung. Festgestellt ist damit: Die Jungen halten sich für mündig, die Alten dagegen wollen gar nicht erst mündig werden. Wenn Alter bloß noch eine Zahl ist, dann heißt das: Wir sind gefangen in ewiger Adoleszenz.