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Freitag, 24. März 2023

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Kürzlich der Hinweis eines väterlichen Freundes auf eine Neuerscheinung: Sebastian Kleinschmidts Kleine Theologie des Als ob. Die Lektüre hat meine Erwartungen, oder treffender: meine Befürchtungen bestätigt. In der Annahme, einen neuen, womöglich hilfreichen Gedanken zu formulieren, demonstriert der Essayist letztlich bloß, wie unbedarft er theologisch eigentlich ist. Er weiß offenbar nicht, an welchem Ort des theologischen Denkens er mit seinem Essay überhaupt steht.

Ich will das Büchlein hier nicht ausführlich besprechen. Zur groben Einordnung vielleicht nur so viel: Was Kleinschmidt bietet, ist leider noch nicht einmal kleine Theologie. Es ist gar keine Theologie. Hier wird kein theologischer Gedanke begründet und entwickelt, hier wird noch nicht einmal existenziell gedacht. Der Essay ist kaum mehr als eine Sammlung biographischer Assoziationen. Zugegeben: Assoziativ umkreist Kleinschmidt eine existenziell höchst relevante Frage, die sich durchaus auch theologisch beantworten lässt. Seine eigene Antwort ist jedoch keine theologische im eigentlichen Sinne. Kleinschmidt formuliert allenfalls eine zaghafte religiöse Intuition zur Stillung einer – in seinem Falle – wesentlich ästhetischen Sehnsucht.
Diese Sehnsucht ist nicht neu. Sie ist eine mögliche Erscheinungsform eines möglichen Unbehagens des modernen Menschen am Fehl eines wirklichen Gottes. Dieses Unbehagen nimmt seinen Anfang im Hochmittelalter, als die Nominalisten, die damals Modernen, in einer sprachtheologischen Wende dem wirklichen Gott den Grund zu entziehen begannen. Die theologische Antwort auf diese Wende nennen wir heute Reformation, und schon die reformatorische Antwort lässt sich als Theologie des Als ob begreifen, als Fiktion eines in der Schrift gegebenen fiktiven Gottes. Aber im Unterschied zu Kleinschmidts Als ob ist das reformatorische Als ob theologisch gut begründet und entwickelt. Es ist Theologie, große Theologie sogar.
Und es ist nun diese große Theologie, die heute vor ihrem Ende steht, dies sogar in ihren verschiedenen Säkularisaten. Das hat gerade auch Dietrich Bonhoeffer zu ahnen begonnen, und er hat erste Versuche unternommen, einer veränderten, radikalisierten Theologie des Als ob, einem paulinischen Als ob nicht wieder auf die Spur zu kommen (siehe u.a. Nr. 30). Von dieser Spur hat Kleinschmidt offenbar keine Kenntnis, vielleicht ignoriert er sie auch bloß. Wie dem auch sei: Den theologischen Ort seiner religiösen Intuition nicht kennend, vielleicht ignorierend, kann Kleinschmidt seiner Sehnsucht eine vermeintlich stillende Formel anbieten, von der wir theologisch denkend wissen, dass sie längst nicht mehr trägt, dass sie als überholt gelten kann.
Man sagt: Wer heilt, hat recht. Das gilt vielleicht medizinisch, vielleicht auch theologisch. Medizinisch wie theologisch gilt aber auch: Vom Erfolg der Medikation lässt sich nicht auf die Wirksamkeit des Medikaments schließen. Und eines ist sicher: Das Als ob als theologisches Medikament hat seine Wirksamkeit nicht nur längst verloren. Es ist vielmehr längst als theologisches Placebo entlarvt.

Nachbemerkung: Kleinschmidt verweist in seinem Essay gelegentlich auf Christian Lehnert, mit dem er sich offenbar biographisch wie literarisch eng verbunden fühlt. Vor einigen Jahren habe ich Lehnerts Korinthische Brocken gelesen (siehe Nr. 199), jetzt habe ich sie noch einmal näher angeschaut. Bei aller Bewunderung für Lehnerts (sprachlichen) Zugang zu Paulus und für seine Interpretation der paulinischen Theologie: Wer Paulus auf die Spur kommen will, der darf Lehnert nicht folgen. Die messianische Pointe, das Als ob nicht paulinischen Denkens und paulinischer Existenz wird hier nicht freigelegt. Das paulinische Als ob nicht wird hier vielmehr offenbarungspositivistisch und poetisch verschüttet. Dazu vielleicht gelegentlich an anderer Stelle mehr.

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