Erstens – ein politisches Argument: Dem bürgerlichen Gedanken wohnt ein universales und ein ökumenisches Moment inne. Daher droht er in der politischen Praxis immer auch ins Absolutistische und Totalitäre zu kippen, und dies in globaler Dimension. Das innere und äußere Gefüge von Streitkräften muss so eingerichtet sein, dass diese sich einer bedrohlich wendenden bürgerlichen Politik auch entziehen können. Eine Bürgerarmee wie die Bundeswehr ist derartigen Wendungen letztlich ohnmächtig ausgeliefert.
Zweitens – ein kultursoziologisches Argument: In Deutschland leben wir in multidimensional ausdifferenzierter Gesellschaft, nicht in homogener Gemeinschaft. Wir leben neben- und beieinander, nicht mit- und füreinander. Diese Wirklichkeit dürfen wir nicht nostalgisch bedauern oder zu hintergehen versuchen, diese Wirklichkeit müssen wir schlechtweg anerkennen – zumal wir sie aus guten Gründen ja auch wollen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Gedanke geradezu grotesk, die deutsche Gesellschaft ließe sich ausgerechnet im Motiv gewaltsamer Selbstbehauptung noch zur Gemeinschaft zusammenbinden.
Drittens – ein systemisches Argument: Bürgerarmeen leben von der Annahme einer grundsätzlichen Analogie zwischen ziviler Regelmäßigkeit und militärischer Ausnahmesituation, zwischen Friedensbetrieb und Kriegsbetrieb – dies insbesondere dann, wenn ihr inneres und äußeres Gefüge so eingerichtet ist, wie es im Falle der Bundeswehr der Fall ist. Unter Bedingungen politischen Friedens neigen Bürgerarmeen als Systeme damit langfristig dazu, sich analog zu zivilen bürgerlichen Institutionen zu generieren und zu regenerieren – und dies mental wie strukturell. Jenseits des politischen Friedens stehen so generierte Bürgerarmeen dann vor der Herausforderung, als Quasi-Verwaltungsbehörde Kriege führen und gewinnen, in den Strukturen der Regelmäßigkeit die Ausnahme bewältigen zu müssen. Das ist nicht oder nur schwer möglich.
Viertens – ein funktionales Argument: Streitkräfte der Gegenwart und Zukunft lassen sich nicht mehr mit weitgehend ungelernten oder bloß angelernten Hilfskräften betreiben. Angesichts der qualitativen Ansprüche, die gegenwärtige und kommende Kriege an Qualifikation und Ausbildung von Soldaten aller Dienstgradgruppen stellen, ist der Bürger als angebrüteter Soldat unbrauchbar.
Fünftens – ein professionelles Argument: Die Idee der Bürgerarmee setzt darauf, dass alle Bürger geborene Verteidiger ihres Landes sind. Diese Voraussetzung war immer schon bloß ideologisch richtig, wirklich jedoch war sie schon immer falsch. Nicht alle, eher nur wenige Menschen bringen die psychischen und physischen Voraussetzungen für die Profession des Soldaten mit. Nicht alle Menschen eines Landes sind zum Soldatsein berufen, also dürfen auch nicht alle Menschen zur Ausübung des Kriegshandwerks einberufen werden.
Ergänzende Überlegung zur aktuellen politischen Diskussion: Mit dem endgültigen Abschied von der Bürgerarmee muss der endgültige Abschied von der allgemeinen Wehrpflicht zugleich beschlossen sein. Die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland wurde damals zwar falsch begründet, an sich wies sie jedoch durchaus in die richtige Richtung. Der Abschied von der Wehrpflicht bedeutet allerdings nicht, dass keine allgemeine Dienstpflicht sein dürfte. Zweifellos müssen im Blick auf größere Notfall- und Katastrophenszenarien Wege gefunden werden, die Widerstandsfähigkeit, oder modischer: die Resilienz von Staat und Gesellschaft zu stärken. Diese Resilienz kann und muss aber eine zivilgesellschaftlich ausdifferenzierte und organisierte Resilienz sein. Und die zivilgesellschaftliche Resilienz kann und muss künftig deutlich unabhängiger gemacht werden von militärischer Resilienz. Es darf und muss noch Schnittstellen, es darf aber keine Schnittmengen mehr geben.
Und schließlich: Wer annimmt, das Problem der Bundeswehr, die Bundeswehr als Problem ließe sich durch Geld, Material und Strukturreformen lösen, der ist in politischer, kultursoziologischer, systemischer, funktionaler und professioneller Hinsicht naiv.
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