Donnerstag, 25. August 2022
867
Man kann sagen, dass Freiheit sich dort finden lässt, wo Müssen durch Wollen überwunden ist. Dabei hängt jedoch die Wahrheit dieses Satzes ganz davon ab, wie Form und Substanz von Müssen und Wollen bestimmt werden.
Mittwoch, 24. August 2022
866
Warum irritieren uns die Emanzipationsbewegungen derjenigen, die nach uns kommen? Auch wir selbst haben uns dem Überkommenen entrungen. Das, was wir dabei neu oder erstmals zu entdecken geglaubt haben, neigt in unserer Wahrnehmung allzu leicht zur Absolutheit. Und so können wir kaum anders, als uns über jene zu verwundern, die sich aus unseren eigenen Entdeckungen wiederum zu lösen versuchen.
Emanzipatorische Akte sind notwendig. Jeder emanzipatorische Akt hat jedoch immer seine Zeit und seinen Raum, substanziell wohnt ihm nichts Absolutes inne. Dieses wie jenes müssen wir uns gelegentlich in Erinnerung rufen. Uns und natürlich auch jenen, die nach uns kommen.
Dienstag, 23. August 2022
865
Habe mich im gegenwärtigen Urlaub noch einmal einer alten Landserregel unterstellt: Hat der Soldat keinen Auftrag, dann ruht er. Für mich ist diese Regel nicht Entlastung, sondern Selbstzumutung. Meine Natur und meine Prägung kennen keine auftragsfreien Zeiten und Räume. Ich muss mir also selbst den Auftrag geben, keinen Auftrag zu haben. In jedem Urlaub das gleiche zirkuläre Spiel gegen mich selbst.
Samstag, 6. August 2022
864
An sich lässt sich nicht zwischen richtigen und falschen Entscheidungen unterscheiden. Wir entscheiden oder wir entscheiden durch Entscheidungslosigkeit – und die Wirklichkeit nimmt nach uns bekannten und unbekannten, nach uns zugänglichen und unzugänglichen Kausalitäten ihren entsprechenden Lauf. Unterscheiden lässt sich aber vielleicht zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Entscheidungen, dies im Blick auf unsere Willensbildung. Nur jene Entscheidungen sind fruchtbar, von denen wir – den Lauf des Wirklichen aufmerksam beobachtend – einen unseren Willen bildenden und festigenden Gebrauch machen.
863
Denken heißt: in ägyptischer Finsternis einen Interpretationsgraben ziehen für die je eigene Existenz. Voraussetzungen, Bedingungen und Mittel dieses Unterfangens sind uns nicht verfügbar, sie sind verfügt. Entscheidend ist allerdings, welcher Fiktion, welchem Glauben wir grabend folgen. Wobei sich selbstverständlich die Frage stellt, ob nicht auch unsere leitende Fiktion schon immer verfügt ist.