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Donnerstag, 23. Februar 2023

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Es ist ein Widerspruch in der Kultur der Gleich-Gültigkeit. Ausgehend von der Annahme, dass es eine absolute Gültigkeit nicht gibt und dass keine Gültigkeit gegenüber anderen Vorrang beanspruchen darf, fordert und erzwingt diese Kultur die Gleich-Gültigkeit aller Gültigkeiten. Dies kann sie allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie die Gleich-Gültigkeit selbst absolut setzt.

Nun gerät jedes Gültigkeitsdenken zuletzt in diesen unauflöslichen Zirkel. Das eigentliche Problem der Kultur der Gleich-Gültigkeit ist daher nicht ihr innerer Widerspruch, ihr eigentliches Problem ist eher praktischer Natur: Zum einen bietet die Kultur der Gleich-Gültigkeit bloß noch Form, nicht mehr Substanz. Im Unterschied zu anderen Kulturen, stellt sie keine substanziellen Gültigkeiten mehr bereit. Sie reißt also eine Gültigkeitslücke, die sich im Raum des Praktischen – insbesondere im Raum des Politischen – als schmerzlich erweisen muss. Zum anderen nötigt die Kultur der Gleich-Gültigkeit als Form unausgesetzt dazu, sich substanzielle Festlegungen, sich die Entscheidung für substanzielle Gültigkeiten zu untersagen. Die Kultur der Gleich-Gültigkeit reißt also nicht nur eine Gültigkeits-, sondern auch eine Entscheidungslücke. Im Raum des Praktischen – insbesondere im Raum des Politischen – provoziert die Kultur der Gleich-Gültigkeit eine Atmosphäre der Unentschlossenheit, die sich nicht nur als schmerzlich, sondern etwa unter dem Druck substanziell entschlossener Gültigkeitspolitik geradezu als gefährlich erweisen muss.

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