Gestern Abend, der Augenblick ist gekommen: Der Bachelor wählt endlich die Dame, die zu seinem Herzen gesprochen hat, bei der er plötzlich schon von Beginn an gewusst haben will, dass da etwas Besonderes sein muss. Echt? Nun könnte man zunächst die Frage stellen, warum der FC Bayern, der sich gleichzeitig gegen Juventus Turin durch das Champions League Viertelfinale quält, erst Tore zu schießen beginnt, nachdem der Bachelor seine Entscheidung getroffen hat. War das etwa geplant? Sollten die Quoten gesichert werden? Also erst was für's Frauenherz, dann was für die Männerseele – ganz ohne Streit um die Fernbedienung?
So weit muss man aber Konstruktions- und Verschwörungstheorien gar nicht treiben. Es genügt schon der Blick auf den Bachelor als Konstrukt. Mystischer könnte es gar nicht angelegt sein: Leonard und Leonie! Ohne zuvor seinen Namen zu kennen, schenkt sie ihm beim ersten Zusammentreffen einen kleinen Löwen (welcher Regieassistent sich das wohl ausgedacht hat). Leonard bedankt sich bei ihr mit der ersten weißen Rose in der Geschichte der Kuppel-Show. Leonie darf damit eine Konkurrentin beim Einzeldate ausstechen. Boah, was für eine Macht! Löwe und weiße Rose – mystische Zeichen, die man am Ende der Staffel geradezu als prophetische Symbole deuten kann. Siehst Du, die beiden haben es von Beginn an gespürt! Zwischendurch die Großinszenierung einer inneren und äußeren Distanzierung der beiden, der in das System integrierte Zweifel durch tragische Missverständnisse und durch den Kampf der anderen Damen um Leonards Herz. Doch am Ende wird alles so, wie es das System will. Der sichtbare Gott, der durch die Herzen zu uns spricht, überwindet alle Zweifel und trägt den Sieg davon. Wir alle dürfen weiter an ihn glauben.
Jedoch: Auch dieser sichtbare Gott ist, wie alle sichtbaren Götter, ein Produkt, genauso wie das Leben, das durch diesen Gott hervorgebracht wird. Die gute linke politische Theorie (es gibt auch eine schlechte, vor allem auch eine schlechte linke Politik) spricht hier im Anschluss an den französischen Philosophen Michel Foucault von „Biopolitik“ oder von „Biomacht“. Jedes religiöse oder metaphysische Lebenssystem, dem wir uns unterwerfen, um unser Leben zu leben, insbesondere aber das gegenwärtig dominante Lebenssystem des Liberalismus, also die rechtsstaatliche und demokratische Organisation von Politik und Ökonomie, ist die Behauptung eines sichtbaren Gottes, der, während wir ihm gerecht zu werden versuchen, eine selbstregenerierende Eigenmacht entwickelt. Diese Macht bemächtigt sich nicht nur zunehmend unseres Lebens, sondern sie bringt unser Leben auch zunehmend selbst hervor. Wir werden zu Produkten unseres sichtbaren Gottes – bis tief hinein in unsere Wahrnehmungs- und Gefühlswelt. Leonard, Leonie und ihre vielleicht sogar „echten“ Gefühle sind Produkte des sichtbaren Gottes, dem wir uns unterworfen haben und der uns nun, um seiner selbst willen, zu erschaffen beginnt. Leonard und Leonie wissen das sicher nicht. Selbst die Konstrukteure des Bachelor wissen das vermutlich nicht. Sie funktionieren einfach – in der Annahme, sie seien frei.
Die Philosophen Michael Hardt und Antonio Negri haben in ihrem Buch „Empire. Globalization as a New Roman Order, Awaiting its Early Christians“ (2000) zu zeigen versucht, dass das System, unter dem wir derzeit leben, mittlerweile so total und in seiner Selbstregeneration so perfide ist, dass es gar kein „außen“ mehr gibt. Wir können uns diesem System, seinem Gott und seiner Lebensproduktion nicht mehr entziehen. Der sichtbare Gott unserer Gegenwart ist übermächtig geworden, und er findet uns in jeder noch so versteckten Ecke unserer Existenz.
Gegen diesen Gott hilft kein neuer sichtbarer Gott, wie ihn etwa die linke politische Theorie nach wie vor und heute wieder ganz neu bereitzustellen versucht. Zunächst hilft vielleicht die Erinnerung, dass jeder sichtbare Gott ein Teufel ist, der sich im Licht verbirgt. Immer dann, wenn uns sichtbare Gründe und sichtbare Verheißungen angeboten werden, gilt es also, besonders wachsam und zurückhaltend zu sein. Allerdings dürfen wir uns dabei nicht auf die Details konzentrieren. Der Teufel findet sich nicht im Detail. Wer den Teufel bloß im Detail sucht, verfällt leicht der gefährlichen Illusion, das Böse müsse dort nur überwunden oder ausgetrieben werden und dann werde es Licht. Das Böse steckt immer im Ganzen des Lichts, in der Fülle der sichtbaren Gründe und Verheißungen, die der Teufel uns anbietet. Wer also den Teufel im Licht tatsächlich sehen will, der muss sich aus den Details herausquälen und das Ganze im Blick zu halten versuchen (Mt 4, 1–11).
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