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Freitag, 4. März 2016

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Es ist nicht unerheblich, dass das frühe Christentum in weltanschauliche und politische Krisen hinein entwickelt wird. Das antike Denken und seine Verheißungen verlieren ihre Überzeugungskraft, die politische Weltordnung als Pax Romana wird brüchig. In diesem Verfallsprozess bietet sich die neue Religion zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert zunehmend als Zuflucht und Rettung an.

Die dogmatische, ethische und institutionelle Entfaltung des Christentums darf dabei nicht etwa als ausgesprochen heiliger Prozess vorgestellt werden. Die sogenannten Kirchenväter sind auch von dem getrieben, was alle Religiösen aller Zeiten treibt: Angst, Anerkennungs- und Geltungsdrang. Es geht um Kontingenzbewältigung und Macht. Im Falle des Christentums sind diese beiden Motive besonders ausgeprägt, weil die schon bald erwartete Wiederkunft des Erlösers ausbleibt und weil die ersten Interpretationen des messianischen Ereignisses durchaus als anti-imperialistische Bedrohung erscheinen. Die werdende Religion muss also zweierlei leisten: Nachdem die Weltwirklichkeit offenbar doch nicht endet, bedarf es dogmatischer und ethischer Sicherheiten. Gleichzeitig muss die religiös-politische Verfolgung überwunden und die Mächtigen müssen von der Zuträglichkeit des neuen Glaubens überzeugt werden. Um das zu erreichen, lässt sich die christliche Religion auf enge Verbindungen ein mit den vorgefundenen Weltanschauungen und dem vorgefundenen politischen System. Die Grundlagen des christlichen Denkens und Lebens durch diese Beobachtungen hindurch wahrzunehmen, hat eine ausgesprochen entzaubernde Wirkung.



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