Der Prozess, der diesen Zustand hervorgebracht hat, lässt sich unterschiedlich erklären und bewerten. Christliche Apologeten warnen vor dem endzeitlichen Abfall von Gott und dem Niedergang des wahren Glaubens. Ihnen stehen Säkularisten verschiedener Fachrichtungen gegenüber, die den Transzendenzverlust als Sieg der Vernunft begrüßen und an seiner Vollendung mitzuwirken versuchen. In den Diskursen des 20. Jahrhunderts etabliert sich allerdings auch eine andere, zunächst überraschende Perspektive: Spätestens bei Ernst Troeltsch und Max Weber wird eine enge Verbindung gesehen zwischen der christlichen Religion und den modernen abendländischen Säkularisierungserscheinungen. Weber diagnostiziert eine auch christlich provozierte „Entzauberung der Welt“, deren ökonomische Effekte er nicht zuletzt auf calvinistisch-puritanische Wirklichkeitsinterpretationen zurückführt. Der Staatstheoretiker Carl Schmitt vertritt die These, alle „prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre“ seien „säkularisierte theologische Begriffe“. Damit wird behauptet, das Christentum sei in den politischen Strukturen der Moderne nach wie vor präsent – wenn auch in transformierter Gestalt. Friedrich Gogarten entwickelt in „Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit“ eine Theologie der Säkularisierung und fordert die Weltlichkeit der Welt geradezu ein. Schon vor Gogarten formuliert Dietrich Bonhoeffer die paradoxe Beobachtung, die „mündige Welt“, also die von der Transzendenz emanzipierte Moderne, sei „gottloser und darum vielleicht gerade Gott-näher als die unmündige Welt.“ Diese und ähnliche Deutungsversuche haben es der christlichen Theologie und Kirche ermöglicht, ihren Frieden mit der säkularen Moderne zu machen. Säkularität gilt hier heute kaum noch als der „alt böse Feind“, sondern vielmehr als legitimes Kind des Christentums und damit als Kontext, in dem die christliche Religion nach wie vor, nun eben in säkularer Fassung, vertreten und gelebt werden kann.
Für mich sind vor allem Max Webers Begriff der Entzauberung und Bonhoeffers Ahnung einer gottnahen Gottlosigkeit hilfreich geworden. Allerdings vermute ich, dass Entzauberung und Gottlosigkeit noch deutlich radikaler begriffen werden müssen, als es das säkulare Denken zulässt. Theologie und Kirche täten gut daran, die Kuschelecke der Säkularität und der darin konservierten religiösen Strukturen zu verlassen, ohne jedoch erneut Zuflucht in der Religion zu suchen. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Bestimmungen des Verhältnisses von Christentum und (später) Moderne längst über die Säkularität hinausgeschritten. In seiner „Dekonstruktion des Christentums“ untersucht Jean-Luc Nancy die „autodekonstruktive“ Eigentümlichkeit der christlichen Religion. Wie schon Gianni Vattimo vor ihm, so behauptet auch Nancy, dass sich das Christentum zuletzt „im Nihilismus und als Nihilismus“ erfüllt. Das Christentum wirft uns in der mit ihm gegebenen Denk- und Lebensdynamik zuletzt ins Nichts, in die totale Gleich-Gültigkeit jedes beliebigen Denkens und jedes beliebigen Lebens. Diese Weltwirklichkeit zieht gegenwärtig herauf, und sie wird sich weder religiös noch säkular mehr einfangen lassen. Mit guten Gründen sucht daher gerade auch die politische Philosophie nach Zugängen zu einem veränderten, „postsäkularen“ Denken und Leben.
Vieles lässt sich dazu sagen, warum die christliche Religion so beeindruckende Entzauberungs- und Vergottlosungskräfte entwickelt hat. Ich selbst halte drei Grundentscheidungen des frühen Christentums für wesentlich: (1) In keiner anderen Religion ist das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz so merkwürdig und spannungsreich formuliert wie im Christentum. Der intensive und desillusionierende Streit um die mögliche Realität des Göttlichen im Weltwirklichen ist damit auf Dauer gestellt. (2) In keiner anderen Religion ist das Politische mit vergleichbaren religiösen Verheißungen aufgeladen. Die Gefahr der Enttäuschung ist daher deutlich größer als anderswo. (3) In keiner anderen Religion ist die Konkurrenz zwischen weltlicher und geistlicher Repräsentanz des Göttlichen so ausgeprägt. Die institutionalisierte Auseinandersetzung darüber, welche der beiden Instanzen das Göttliche in welcher Zuordnung und auf welche Weise zu realisieren habe, neigt rückblickend von Beginn an dazu, auf eine Trennung der Instanzen und eine Entgöttlichung des Politischen hinauszulaufen.
In den Diskursen, die der christlichen Religion eingeschrieben sind, spielen gerade an den Wendepunkten – etwa bei Augustinus oder auch bei Luther – paulinische Texte eine entscheidende Rolle. Von diesen Texten gehen immer wieder anti-religiöse und anti-metaphysische Impulse aus, die im Prozess der Entzauberung und Vergottlosung eine Neubestimmung des Verhältnisses von Transzendenz und Immanenz ermöglichen. Im gegenwärtigen Umbruch der Interpretationen, in dem uns Paulus erneut weiterhelfen kann, scheint es daher angebracht, noch einmal an den Dank zu erinnern, den wir dem Häretiker Marcion schulden: Marcion hat das werdende Christentum dazu gezwungen, nicht nur die Briefe des 13. Apostels, sondern auch den jüdischen Tanach in den eigenen religiösen Kanon zu integrieren. Damit ist unter dem Gewand der christlichen Religion ein subversiver Messianismus durch die Geschichte getragen worden, der zuletzt alle religiösen und metaphysischen Denk- und Lebenssysteme destruiert.
Für mich sind vor allem Max Webers Begriff der Entzauberung und Bonhoeffers Ahnung einer gottnahen Gottlosigkeit hilfreich geworden. Allerdings vermute ich, dass Entzauberung und Gottlosigkeit noch deutlich radikaler begriffen werden müssen, als es das säkulare Denken zulässt. Theologie und Kirche täten gut daran, die Kuschelecke der Säkularität und der darin konservierten religiösen Strukturen zu verlassen, ohne jedoch erneut Zuflucht in der Religion zu suchen. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Bestimmungen des Verhältnisses von Christentum und (später) Moderne längst über die Säkularität hinausgeschritten. In seiner „Dekonstruktion des Christentums“ untersucht Jean-Luc Nancy die „autodekonstruktive“ Eigentümlichkeit der christlichen Religion. Wie schon Gianni Vattimo vor ihm, so behauptet auch Nancy, dass sich das Christentum zuletzt „im Nihilismus und als Nihilismus“ erfüllt. Das Christentum wirft uns in der mit ihm gegebenen Denk- und Lebensdynamik zuletzt ins Nichts, in die totale Gleich-Gültigkeit jedes beliebigen Denkens und jedes beliebigen Lebens. Diese Weltwirklichkeit zieht gegenwärtig herauf, und sie wird sich weder religiös noch säkular mehr einfangen lassen. Mit guten Gründen sucht daher gerade auch die politische Philosophie nach Zugängen zu einem veränderten, „postsäkularen“ Denken und Leben.
Vieles lässt sich dazu sagen, warum die christliche Religion so beeindruckende Entzauberungs- und Vergottlosungskräfte entwickelt hat. Ich selbst halte drei Grundentscheidungen des frühen Christentums für wesentlich: (1) In keiner anderen Religion ist das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz so merkwürdig und spannungsreich formuliert wie im Christentum. Der intensive und desillusionierende Streit um die mögliche Realität des Göttlichen im Weltwirklichen ist damit auf Dauer gestellt. (2) In keiner anderen Religion ist das Politische mit vergleichbaren religiösen Verheißungen aufgeladen. Die Gefahr der Enttäuschung ist daher deutlich größer als anderswo. (3) In keiner anderen Religion ist die Konkurrenz zwischen weltlicher und geistlicher Repräsentanz des Göttlichen so ausgeprägt. Die institutionalisierte Auseinandersetzung darüber, welche der beiden Instanzen das Göttliche in welcher Zuordnung und auf welche Weise zu realisieren habe, neigt rückblickend von Beginn an dazu, auf eine Trennung der Instanzen und eine Entgöttlichung des Politischen hinauszulaufen.
In den Diskursen, die der christlichen Religion eingeschrieben sind, spielen gerade an den Wendepunkten – etwa bei Augustinus oder auch bei Luther – paulinische Texte eine entscheidende Rolle. Von diesen Texten gehen immer wieder anti-religiöse und anti-metaphysische Impulse aus, die im Prozess der Entzauberung und Vergottlosung eine Neubestimmung des Verhältnisses von Transzendenz und Immanenz ermöglichen. Im gegenwärtigen Umbruch der Interpretationen, in dem uns Paulus erneut weiterhelfen kann, scheint es daher angebracht, noch einmal an den Dank zu erinnern, den wir dem Häretiker Marcion schulden: Marcion hat das werdende Christentum dazu gezwungen, nicht nur die Briefe des 13. Apostels, sondern auch den jüdischen Tanach in den eigenen religiösen Kanon zu integrieren. Damit ist unter dem Gewand der christlichen Religion ein subversiver Messianismus durch die Geschichte getragen worden, der zuletzt alle religiösen und metaphysischen Denk- und Lebenssysteme destruiert.
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