Seiten

Dienstag, 15. März 2016

30

„Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ Diese frühe Intuition Bonhoeffers, formuliert in seiner Habilitationsschrift „Akt und Sein“ (1930), kann zunächst ganz traditionell christlich gedeutet werden. Selbstverständlich weiß die gesamte christliche Theologie, dass Gott (auch) anders ist, dass er in der Weltwirklichkeit nicht aufgeht. Insofern „gibt“ es ihn nicht einfach. Auch kennt das christliche Denken breite und einflussreiche Strömungen negativer Theologie, in denen die Annäherung an Gott gerade in der Betonung seines Anderssein versucht wird.

Bei Bonhoeffer selbst jedoch nimmt der Gedanke, dass es Gott nicht „gibt“, spätestens in seiner Gefängnistheologie eine ganz eigentümliche Wendung. Er spricht plötzlich von „Religionslosigkeit“, von einem „religionslosen Christentum“ und von der Notwendigkeit, künftig zu leben „etsi deus non daretur“ – als ob Gott nicht gegeben wäre (ich sehe hier die Anfänge einer Theologie des als ob, die ich selbst weiterzuentwickeln versuche). Diese Formulierungen kann man nun wiederum ganz traditionell (links)hegelianisch deuten, was auch vielfach geschehen ist: Gott entäußert sich selbst (Kenosis), wird Mensch (Inkarnation) und ist künftig allein noch im Weltwirklichen, vor allem im Mitmenschen zu finden. Auf der Linie dieser Interpretation entwickelt sich die sogenannte „Gott-ist-tot-Theologie“ und die mit ihr gegebene Politische Theologie. In Deutschland stehen dafür Namen wie Dorothee Sölle und Jürgen Moltmann, in einem etwas anderen Sinne auch Johann Baptist Metz. Im anglo-amerikanischen Raum finden sich ähnliche Überlegungen bei John Robinson in „Gott ist anders“ („Honest to God“) oder bei Harvey Cox in „Stadt ohne Gott?“ („The Secular City“). Sie alle verbindet eine gemeinsame Sorge: „Gott hat keine anderen Hände als unsere“ (Sölle).
Die (auch) an Bonhoeffer anknüpfende Gott-ist-tot-Bewegung ist ein beeindruckendes Phänomen nach Auschwitz: Ein nicht mehr haltbares religiöses oder metaphysisches Gottesbild wird verabschiedet, zugleich werden massive politische Konsequenzen gefordert. Allerdings ist dieses Phänomen noch ein ganz modernes: Aus der Gotteskrise erwächst der Versuch der Selbstbehauptung, verbunden mit der Idee einer herzustellenden Weltwirklichkeit und einer zu diesem Zwecke entworfenen politischen Ethik, die, weil aus der Verzweiflung geboren, nur recht verkniffen und verbissen auftreten kann.
Sicher trägt auch Bonhoeffers Religionslosigkeit noch moderne Züge. Und doch vertrete ich die These, dass eine moderne Interpretation Bonhoeffers den von ihm ausgehenden Impuls nicht ernst genug nimmt. Einerseits verwirft Bonhoeffer den religiösen oder metaphysischen Gott, indem er von einem schwachen, ohnmächtigen und (mit)leidenden Gott spricht. Andererseits sieht er in der modernen Mündigkeit des Menschen, in der säkular konstruierten und beherrschten Weltwirklichkeit gerade nicht das Göttliche realisiert, sondern will vielmehr die totale Gottlosigkeit der modernen Weltwirklichkeit radikal aufdecken. Angelehnt an das, was Bonhoeffer über Bultmann gesagt hat, behaupte ich damit: Moderne Bonhoeffer-Interpretationen wie die „Gott-ist-tot-Theologie“ gehen nicht etwa zu weit, sondern sie gehen nicht weit genug. In ihnen erhält sich immer noch der moderne (ganz christliche) Traum vom Göttlichen im Wirklichen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen