Mein Denkweg nach dem Ende eines
transzendenten Gottes, den es „gibt“, führt in der Gottesfinsternis von Bonhoeffers Religionslosigkeit über Derridas
Dekonstruktion zurück zu Paulus. Wie das?
Bei dem Versuch, dieses Anliegen zunächst zu erfassen und dann
die bei Bonhoeffer bloß angedeuteten Linien weiter auszuziehen, habe ich nur sehr
langsam wahrgenommen, dass mich meine Bemühungen zuletzt neu vor Paulus stellen
würden. Bonhoeffer selbst wagt erste Uminterpretationen paulinischer Begriffe.
Adolf von Harnack verweist mich auf den christlichen Häretiker Marcion und den
von ihm ausgelösten Streit um Paulus. Bei meinen ersten Gehversuchen in der
Bonhoeffer-Forschung werde ich an die New
Perspective on Paul erinnert, die für meine eigene Weiterentwicklung
hilfreich sein könnte. Meine ideengeschichtliche Selbstvergewisserung über das
Gewordensein und den gegenwärtigen Stand des abendländischen Denkens bleibt zunächst
in der französischen Phänomenologie hängen, wo ich offene oder verborgene Verweise
auf Bonhoeffer und Paulus beobachte. Den endgültigen Anstoß gibt mir jedoch die
jüngere politische Philosophie in Italien und Frankreich, die nicht zuletzt im
Anschluss an oder in Auseinandersetzung mit Jacques Derrida ein ganz eigenes
Bild von Christentum und Christusereignis entwirft – verbunden mit einer ausdrücklichen
Neuinterpretation und Vergegenwärtigung paulinischer Theologie. Wichtig sind für mich Jean-Luc Nancy, Alain Badiou, Slavoj Žižek, Gianni Vattimo und Giorgio
Agamben.
Die Impulse, die ich hier aufnehme, treffen auf eine lange
in mir schlummernde Irritation: Schon als Kind habe ich bei der Lektüre von
Paulustexten eine gewisse Spannung wahrgenommen zwischen dem Gelesenen und den
dogmatischen und ethischen Selbstverständlichkeiten des Christentums. Früher
habe ich mir diese Irritation damit erklärt, dass ich wohl vieles noch nicht richtig
verstanden haben kann. Heute denke ich, dass ich im Gegenteil ganz richtig verstanden
habe – und ich beginne damit, Paulus ganz unchristlich umzuinterpretieren.
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