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Dienstag, 21. März 2017

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Max Webers Diagnose der okzidentalen Kultur lässt sich vielleicht auf diesen Punkt bringen: Alle kulturellen Prozesse der abendländischen Lebenswirklichkeit (politische, gesellschaftliche, rechtliche, wirtschaftliche, technische, ästhetische) folgen einer unerbittlichen Mechanik, die zur unausgesetzten Produktion eines irrationalen Mehr im quantitativen wie im qualitativen Sinne zwingt. Irrational ist dieses Mehr insofern, als dass es als Zweck an sich auftritt – völlig abgelöst von dem, was man als natürliches Bedürfnis beschreiben könnte.

Erste Anmerkung: Vielleicht ist das Mehr als Zweck an sich auf eine verborgene Weise durchaus rational. Hinter dem okzidentalen Mehr könnte sich ideen- und kulturgeschichtlich die inzwischen unbestimmte Sehnsucht nach dem einst (religiös oder metaphysisch) versprochenen, nun aber längst verlorenen und aufgegebenen Heil des Weltwirklichen verbergen – nach jenem Weltheil, dass ja bereits in der für Weber so bedeutsamen protestantischen, insbesondere calvinistischen Ethik zur Leerstelle wird. Schon diese Ethik ist ja in gewissem Sinne sinnlos, irrational.

Zweite Anmerkung: Mit der Diagnose okzidentaler Kultur ist keine Wertung gegeben. Andere Kulturen haben andere Probleme, sind nicht besser oder schlechter. Das zentrale Problem des Abendlandes ist sein Zwang zum Mehr. Unter diesem Zwang wird das Abendland aber natürlich zugleich zum Problem für andere Kulturen.

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