„Fast alle Wissenschaften verdanken Dilettanten irgendetwas, oft sehr wertvolle Gesichtspunkte. Aber der Dilettantismus als Prinzip der Wissenschaft wäre das Ende.“ Weber unterscheidet den intuitiv arbeitenden und vom „Einfall“ lebenden Dilettanten vom „Fachmann“ – und zwar „nur dadurch, daß ihm die feste Sicherheit der Arbeitsmethode fehlt, und daß er daher den Einfall meist nicht in seiner Tragweite nachzukontrollieren und abzuschätzen oder durchzuführen in der Lage ist. Der Einfall ersetzt nicht die Arbeit“ (Wissenschaft als Beruf).
Mit dieser Unterscheidung ist sicher sehr viel Richtiges angedeutet. Allerdings steckt hinter Webers Kritik zum einen ein Arbeitsideal, das er gerade durch seine eigene fachmännische Arbeit als tragisches Schicksal der säkularen Moderne aufdeckt. Zum anderen steckt in Webers Kritik ein Erkenntnisideal werturteilsfreier empirischer Wissenschaften, das er gerade durch seine eigene fachmännisch gewonnene Erkenntnis ad absurdum führt: Alle vermeintlich werturteilsfreie Erkenntnis ist (auch) Ergebnis einer werturteilsbedingten Existenz.
Damit will ich sagen: Auch am Ende seiner möglicherweise zwanghaften Arbeitswut kann der wissenschaftliche Fachmann nicht mehr liefern als der Dilettant – einen Einfall, eine Intuition. Und dabei hat er keine Sicherheiten für die Wahrheit dieser Intuition. Dessen ungeachtet gibt es natürlich durchaus einen qualitativen Unterschied zwischen der Intuition des Dilettanten und der Intuition des Fachmanns: „Wenn Faust am Ende seines Lebens in der Arbeit an der Erkenntnis sagt: ‚Ich sehe, dass wir nichts wissen können‘, so ist das Resultat, und etwas durchaus anderes, als wenn dieser Satz von einem Studenten im ersten Semester übernommen wird, um damit seine Faulheit zu rechtfertigen. Als Resultat ist der Satz wahr, als Voraussetzung ist er Selbstbetrug“ (Bonhoeffer, Nachfolge).
Wie dem auch sei: Ich selbst halte einen bewussten und maßvollen Dilettantismus (gemessen an Webers Arbeits- und Erkenntnisideal) in den Wissenschaften für dringend geboten - als Subversion ihrer fachmännisch-ökonomistischen Maschinerie und als Subversion ihrer empirisch-funktionalistischen Illusion. Beide Schicksale moderner Wissenschaften gilt es zu überwinden. Nicht zuletzt mit dilettantischer Intuition.
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