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Montag, 27. März 2017

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In einem kürzlich erschienen Text („Entzauberung und messianische Spannung“) formuliere ich eine Max Weber ergänzende, möglicherweise widersprechende These.

„Die eigentümlich calvinistische Handhabung der messianischen Spannung insbesondere unter den Vorgaben des usus legis in renatis wird zu einer entscheidenden Größe im Prozess der Rationalisierung und Säkularisierung der Politik. Max Weber hat bekanntlich eine subtile Verbindung angenommen zwischen dem calvinistischen Erwählungsgedanken und dem paradoxen Bemühen des Calvinisten um praktische Bewährung seines Glaubens in der Welt: das ausgeprägte 'Interesse an der Gewinnung der subjektiven ‚certitudo salutis‘'. Damit erscheint die Selbstvergewisserung der göttlichen Prädestination als die hervorragende Triebkraft hinter der spezifisch calvinistischen Weltbearbeitung und deren modernisierenden Wirkungen. Ich möchte nun Webers Annahme eine andere These zur Seite, vielleicht sogar entgegen stellen: Der eigentliche Katalysator der calvinistischen Rationalisierung und Säkularisierung ist der tertius usus legis. Gerade ihm entwächst der um Weltunabhängigkeit bemühte, streng rational-gesetzlich bestimmte Welthandhabungsaktivismus der calvinistischen Tradition in ihren verschiedenen Erscheinungsformen – also jener Gebrauch der Welt, den Max Weber in die Formel innerweltliche Askese zu fassen versucht hat.“
Meine These ist ergänzungs-, zumindest erklärungsbedürftig. Ich scheine hier an Weber vorbeizureden, da seine Annahme eines Zusammenhangs zwischen Calvinismus und Geist der Moderne auf das Motiv, auf den Antrieb hinter der modernen Rationalisierung abstellt (die subjektive Selbstvergewisserung des Heils) – und nicht auf das Mittel, auf das Instrument der Rationalisierung (den Gebrauch des göttlichen Gesetzes).
Worauf ich hinaus will, ist dies: Weber behauptet bekanntlich von sich selbst, er sei „religiös unmusikalisch“, und er ist sich des Problems bewusst, dass sein Versuch einer Rekonstruktion des Innenlebens, der Motivationsstruktur des religiös Glaubenden damit fehleranfällig ist. Nun lässt sich in den von Weber ausgewerteten dogmatischen Schriften puritanischer Provenienz durchaus ein Zusammenhang herstellen zwischen Bewährung (im Sinne einer erfolgreichen Prüfung) der Erwähltheit und einer spezifisch puritanischen Rationalität der Weltbearbeitung, und Weber wittert hier nicht zu Unrecht die individuelle Sehnsucht nach „psychischen Prämien“ religiöser Praxis – also im Kern ein Streben nach Überwindung von Erwählungsungewissheit.
Was allerdings in der alltäglichen Lebenswirklichkeit der (calvinistisch) Glaubenden eine weitaus größere Rolle gespielt haben dürfte, so meine religiös musikalische Annahme, ist eine ausgeprägte Erwählungsgewissheit und ein unbedingtes, völlig prämienunabhängiges Streben nach Gottesgehorsam. Dieser Gehorsam ohne Aussicht auf Lohn (weder auf diesseitigen noch auf jenseitigen) muss dem religiös unmusikalischen Weber unverständlich bleiben. Er spielt daher auch in der „Protestantischen Ethik“ so gut wie keine Rolle.
Unterbelichtet bleibt in diesem Zusammenhang zugleich die Besonderheit des calvinistischen tertius usus legis. Weber sieht zwar einen Unterschied zwischen Luthers und Calvins Gebrauch des Gesetzes, vermag aber die außerordentliche Bedeutung des tertius usus nicht recht wahrzunehmen (hier ist er wohl noch zu sehr von Troeltsch abhängig). Für Calvin (in der Institutio) ist der dritte Gebrauch des Gesetzes (den Luther gar nicht kennt) der „wichtigste“ von allen, da das Gesetz in ihm seinem „eigentlichen Zweck“ nahe kommt: Aufklärung, „was des Herrn Wille sei“, Antrieb „zum Gehorsam“, Eindämmung der „Trägheit“ und Erinnerung an die menschliche „Unvollkommenheit“.
Im Gesetz hat der calvinistisch Glaubende also eigentlich alles, was er für die Glaubenspraxis, für die tätige Weltbearbeitung braucht. Dabei ist das calvinistisch begriffene Gesetz dem Kreatürlichen offenbarungspositivistisch entzogen und in seiner ratio (Calvin) allein dem Glaubenden zugänglich. Diese ratio ist aber nicht mehr an eine Prämie gekoppelt – etwa an ein gelingendes Leben im Diesseits oder an die Verheißung des Heils im Jenseits. Die calvinistische ratio des Gesetzes fordert Gottesgehorsam um des Gehorsams willen. Irgendein Gewinn ist dabei völlig irrelevant.
Die Eigentümlichkeit der calvinistischen Interpretation und Praxis ist somit diese: zweifelsfreie Erwählungs- und damit Heilsgewissheit, prämienfreier Gehorsam und damit Weltunabhängigkeit, unbedingter Gehorsam als Gesetzesgehorsam und damit streng gesetzlich bestimmte Wirklichkeitshandhabung. Wird die calvinistische Eigentümlichkeit so bestimmt, dann lässt sich, so meine ich, der Hintergrund der merkwürdigen Irrationalität moderner Lebenspraxis weitaus besser (und religiös überzeugender) erklären, als dies in der herkömmlichen Weber-Kausalität möglich ist (hier schwingt ja immer die Rationalität der Prämie mit, und so ist letztlich nicht das erklärt, was Weber eigentlich erklären will).

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