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Sonntag, 5. März 2017

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Es hilft vielleicht, wenn noch einmal nach dem paulinischen Motiv gefragt wird: Warum ist Paulus so sehr daran interessiert, sein Evangelium, seine Interpretation vom Sieg des Messias über die Weltwirklichkeit unter die Leute zu bringen?

Wenn Paulus die Weltwirklichkeit, wenn er ihre Gestalt tatsächlich als im Vergehen begriffen begreift (1 Kor 7,31) – warum sind ihm dann Sein und Existenz nicht gleichgültig? Warum wartet er dann nicht untätig sondern tätig?
Es geht Paulus ganz sicher nicht darum, den Himmel mit Seelen zu füllen. Dieser Gedanke ist ein Produkt des späteren christlichen Dualismus, dessen stille oder offene Drohung wohl nichts anderem als der Moralisierung der Bedrohten und dem Machterhalt der Drohenden dienen soll. Pax et securitas!

Anmerkung: In säkularisierter Fassung ist diese Drohung auch noch in der kantischen (politischen) Philosophie präsent. Nur, wer sich freiwillig dem allgemeinen Gesetz der reinen praktischen Vernunft unterwirft, kann mit guten Gründen darauf hoffen, in das Land des ewigen Friedens eingehen zu dürfen. Der erweist sich dieser möglichen Belohnung zumindest als würdig. Es wäre eine Untersuchung wert, Spuren dieser Drohung auch noch in unserer gegenwärtigen Lebenshaltung und -praxis ausfindig zu machen.

Das paulinische Motiv ist ein anderes. Er deutet es in 1 Kor 7,32 an: In einer im Vergehen begriffenen Weltwirklichkeit ist Paulus daran gelegen, dass die Menschen „ohne Sorge“ sind – wobei der Begriff, den er hier gebraucht (amerimnos), nicht so sehr eine existenzielle Angst meint, sondern eher ein umtriebiges Besorgtsein um das alltägliche Wohlsein. Von dieser Sorge will Paulus die Menschen befreien. Dieses Motiv treibt ihn ausgerechnet nach Europa.

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