Seiten

Donnerstag, 23. März 2017

265

Paulus ist kein Christ. Das Christentum als Kulturerscheinung ist, im Sinne Max Webers, auch eine transformierende, verzerrende Anverwandlung paulinischer Theologie bei gleichzeitiger Abschwächung, teilweise Beseitigung ihrer Zumutungen.

Paulus ist ein jüdischer Reformator – dies insofern, als dass er sich mithilfe seiner spezifischen Interpretation des messianischen Ereignisses der mosaischen Metaphysik zu entziehen und einen neuen, messianisch aufgeklärten Zugang zum abrahamitischen Glauben freizulegen versucht.
Für dieses Unterfangen ist (wie für Luthers Unterfangen in Grenzen auch) der Begriff Reformation streng genommen unzutreffend. Dieser Begriff hat einen allzu konservativen und restaurativen Beigeschmack. Er suggeriert, es gäbe eine verschüttete ursprüngliche Gültigkeit neu zu entdecken, wiederherzustellen und zu praktizieren. Gerade dies ereignet sich aber weder bei Luther, noch viel weniger bei Paulus. Paulus will nicht zurück zu einem Wesenskern des Judentums, will nicht bloß ein wenig Schlacke abschlagen. Paulus will, messianisch aufgeklärt, zeigen, dass der abrahamitische Glaube, der Ungültigkeitsglaube des Fremdlings und des Nomaden, etwas ganz anderes ist, als der religiös transformierte Glaube des mosaischen Judentums – sowohl interpretatorisch als auch praktisch.
Bonhoeffer plant (wenn ich mich recht erinnere im „Entwurf für eine Arbeit“) eine „Revision“ des Christentums. Diesen Begriff halte ich für treffender und hilfreicher. In ihm schwingt mit, dass etwas (noch einmal) kritisch prüfend angeschaut, gesichtet wird. Zugleich deutet der Begriff an, etwas revidieren, also zurücknehmen, widerrufen zu wollen. Gerade dies ist die Unternehmung paulinischer Theologie: Sie unterzieht das Judentum einer kritischen Sichtung und ist zugleich eine große Widerrufung der jüdischen Religion in abrahamitischer Absicht. Paulus ist ein radikaler jüdischer (abrahamitischer) Revisor.

Was heute anstünde, wäre eine breit und tief ansetzende Revision des Denkens und Lebens der säkularen Moderne. Vielleicht würde uns diese Revision kulturgeschichtlich zunächst hineinführen in ein Denken und Leben unter den Bedingungen einer materialistischen Metaphysik. Das wäre jedoch hinzunehmen. Der Weg heraus aus einer materialistischen Metaphysik hinein in das ganz Andere abrahamitischer Interpretation und Praxis ist nicht mehr allzu weit und nicht mehr allzu schwer. In materialistischer Metaphysik ist schon vieles enttäuscht, es ist schon vieles losgelassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen