Ohne mir damals dessen bewusst zu sein, habe ich mit dem Titel dieses Textes – „Glaubend existieren in der Matrix“ – bereits angedeutet, wonach ich seitdem zu suchen begonnen habe: Jenseits von Religion und Metaphysik, jenseits ihrer Machtzusagen, jenseits ihrer Erlösungsverheißungen wird die Weltwirklichkeit zum stahlharten funktionalen Gehäuse. Sie wird zur (restlos unpersönlich) versklavenden Matrix. In der Matrix existierend, suche ich nach einer nachreligiös und nachmetaphysisch noch möglichen Interpretation, mit deren Hilfe sich die funktionale Macht der Weltwirklichkeit zumindest relativieren lässt.
Diese Interpretation nenne ich Glaube. Nachreligiöser und nachmetaphysischer Glaube strebt nicht mehr nach einem besseren Sein, nicht mehr nach einer glückseligen Existenz. Im verzweifeltsten Sinne des Begriffs strebt er nach Freiheit, nach Freiheit von der Macht der Weltwirklichkeit.
Im Matrix-Text schimmert bereits die Ahnung durch, dass die Freiheit des Glaubens eine andere sein muss, als die Freiheit der Religion und der Metaphysik. Und doch ist dieser Text noch in einer gnostischen und offenbarungspositivistischen Hoffnung geschrieben, in der Hoffnung, die Existenz ließe sich zumindest partiell aus den Mechanismen der Matrix herauslösen, in der Hoffnung, der glaubend Existierende könne die Mechanismen der Matrix zumindest partiell verbiegen, vielleicht sogar partiell durchbrechen und partiell neu ausrichten.
Die Begegnung mit Derridas Dekonstruktion hat mir diese Hoffnung genommen. Den entscheidenden Hinweis hat mir dann Agambens (noch unvollständige) Erneuerung des paulinischen als ob nicht gegeben. Religiöse und metaphysische, also wirkliche Freiheit ist, einschließlich dessen, was sie bewirkt, immer Teil der Systemkausalitäten, ist immer bloß Funktion der Matrix. Freiheit, die diese Funktionalität zumindest relativieren kann, lässt sich allein in einem geglaubten als ob nicht im reservativen Sinne gewinnen. Diese Freiheit nenne ich inzwischen unfreie Freiheit (im Gegenüber zur freien Unfreiheit der Religion und der Metaphysik). Unfreie Freiheit ist eine geglaubte (man könnte auch sagen: fiktionale und damit schwache) Selbst- und Wirklichkeitsdistanzierung, in der die Kausalität von Sein und Existenz nicht ausgesetzt ist, in der sich aber zumindest ein behutsamer Gebrauch dieser Kausalität eröffnet. Mit dem glaubenden Gebrauch der Kausalitäten der Matrix ist nichts gebessert oder gar geheilt. Aber vielleicht darf es sein, dass sich das unmittelbare Unheil gewissermaßen umlenken lässt.
Der vorsichtige und zuletzt immer stammelnd-dilettantische Versuch zu umschreiben, was mit unfreier Freiheit, was mit ihrer Macht und was mit der in ihr quasi vorweggenommenen Erlösung gemeint sein könnte, darf nicht über die entscheidende Tragik unfreier Freiheit hinwegtäuschen: sie ist zwecklos und damit sinnlos. Sie hält den Gang der Dinge nicht auf. Sie will einer Wirklichkeit dienen, die sie zugleich als aufgehoben und überwunden begreift. Ein (religiöser oder metaphysischer) Grund für diese Freiheit, ein Grund dafür, sie zu wollen und zu praktizieren, lässt sich also nicht angeben. Der alleinige Grund dieser Freiheit ist der Messias, ist das Gesetz des Messias. Weder der Messias noch sein Gesetz des Aufgehoben- und Überwundenseins sind jedoch wirklich.
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