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Freitag, 31. März 2017

269

In den vergangenen Wochen bin ich vermehrt mit der Frage nach Warum und Wozu meiner Interpretation und Praxis konfrontiert worden. Intuitiv, unmittelbar überzeugend sind der reservative Zugang zur und der reservative Gebrauch der Weltwirklichkeit tatsächlich nicht. Das liegt wohl vor allem am „Wesen“ des Sprungs. Streng genommen „gibt“ es für reservatives Denken und Handeln weder einen Grund noch einen Zweck.

Montag, 27. März 2017

268

In einem kürzlich erschienen Text („Entzauberung und messianische Spannung“) formuliere ich eine Max Weber ergänzende, möglicherweise widersprechende These.

Freitag, 24. März 2017

267

Denkende, interpretierende und sich so orientierende Menschen gehen mehr oder weniger selbstverständlich davon aus, dass alle Menschen als Menschen sich im Denken und denkend orientieren müssen – und dies auch wollen und tun. Nun ist es aber leider so, dass die Masse sich weder im Denken noch sich denkend orientiert. Weil sie es nicht kann, weil sie zu bequem ist oder weil sie es schlechtweg nicht für nötig hält. Und so ist die Masse im Wesentlichen Funktion ungeprüfter, heute sich pluralisierender Gültigkeiten, die als selbstverständlich, haltbar und bindend hin- und angenommen werden. Diese Funktion kann übrigens höchst intellektuell daherkommen (wobei ich interessanterweise spontan bekannte Gesichter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens oder bekannte Autoren führender Tages- oder Wochenblätter vor Augen habe).

266

Wer sich in Gebirge wie die „Protestantische Ethik“ hineingräbt, der stößt unvermeidlich auf kleine, bei der letzten Grabung übersehene Goldklumpen.

Donnerstag, 23. März 2017

265

Paulus ist kein Christ. Das Christentum als Kulturerscheinung ist, im Sinne Max Webers, auch eine transformierende, verzerrende Anverwandlung paulinischer Theologie bei gleichzeitiger Abschwächung, teilweise Beseitigung ihrer Zumutungen.

Mittwoch, 22. März 2017

264

Habe gestern an der Katholischen Akademie in Bayern (München) einen Vortrag zum Wiederaufleben des Pragmatismus von Richard Bernstein gehört, anschließend ein Podiumsgespräch mit Jürgen Habermas.

263

Kants kategorischer Imperativ als unbedingter Geltungsanspruch ist eine Täuschung, weil er nicht bedingungslos gilt, sondern auf die Herstellung spezifischer Bedingungen aus ist.

Dienstag, 21. März 2017

262

Ein gefährlicher Gedanke: Die Eigentümlichkeit, Besonderheit, Einzigartigkeit des Menschen gegenüber anderen bekannten Lebewesen liegt nicht darin, dass er Vernunft, Bewusstsein, Intelligenz hat. Hier sind die Unterschiede wohl bloß graduell. Der Mensch ist vielmehr das einzige bekannte Wesen, das seine vernünftigen Interpretationen reservativ wenden kann, das sich selbst und die Weltwirklichkeit als aufgehoben und überwunden begreifen und dieser Interpretation entsprechend handeln kann. Der Mensch ist also das einzige bekannte Wesen, das zu einem als ob nicht, das zur (reservativen) Hoffnung fähig ist.
Gefährlich ist dieser Gedanke, weil er in den alten und erbitterten Streit zwischen Natur und Gnade (man denke an Barths Nein! gegen Brunner) hineingesprochen ist und vielfältig fehlinterpretiert werden kann.

261

Max Webers Diagnose der okzidentalen Kultur lässt sich vielleicht auf diesen Punkt bringen: Alle kulturellen Prozesse der abendländischen Lebenswirklichkeit (politische, gesellschaftliche, rechtliche, wirtschaftliche, technische, ästhetische) folgen einer unerbittlichen Mechanik, die zur unausgesetzten Produktion eines irrationalen Mehr im quantitativen wie im qualitativen Sinne zwingt. Irrational ist dieses Mehr insofern, als dass es als Zweck an sich auftritt – völlig abgelöst von dem, was man als natürliches Bedürfnis beschreiben könnte.

Sonntag, 19. März 2017

260

Gestern nun die Aufführung des Luther-Pop-Oratoriums in der ausverkauften Münchener Olympiahalle. Als Mitmach-Erlebnis sehr unterhaltsam. Wem jedoch an der Sache Luthers gelegen ist, der kann nur ein gewisses Unbehagen empfinden. Dem Volk (um des Evangeliums willen) auf's Maul zu schauen, ist nun einmal etwas anders, als dem Volk (populär) nach dem Maul zu schwätzen.

Freitag, 17. März 2017

259

Ich passe auch deshalb nicht so recht in den Kreis der wissenschaftlichen Fachmenschen, weil ich in nichts Experte bin. Noch nicht einmal in meinem eigenen Denken.

Donnerstag, 16. März 2017

258

Zwei weitere Intuitionen bei der Weber-Lektüre: Die Entdeckung ist immer wieder schrecklich ernüchternd, dass mein vermeintliches Ich, meine vermeintliche Identität und die ihr eigentümlichen interpretatorischen und praktischen Rationalitäten wenig mit individueller Authentizität oder gar mit Wahrheit zu tun haben. Sie sind in hohem, vielleicht in überwiegendem Maße Kulturprodukt. Mein Kontext schafft mich zu seinem Bilde.
Und eine zweite Entdeckung ist immer wieder schrecklich ernüchternd: Dort, wo das reservativ begriffene Evangelium die geronnenen Interpretationen und Praktiken durchbricht (Paulus, Luther), wird es sogleich vom übermächtigen Strom der Kulturentwicklung erfasst, transformiert und den Gesetzen der Weltwirklichkeit dienstbar gemacht. Das dämpft alle Hoffnungen für ein kommendes postsäkulares Zeitalter.

257

Wer auch nur einen ersten Zugang zu Max Webers (in politischer Absicht vorgenommener) Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik finden will, der darf Webers Wirklichkeitsinterpretation nicht übersehen.

Mittwoch, 15. März 2017

256

In der "Protestantischen Ethik" eine wunderbare Fußnote wiederentdeckt - Webers Vorstoß in das Zeitalter der Interpretation: "'Irrational' ist etwas stets nicht an sich, sondern von einem bestimmten 'rationalen' Gesichtspunkte aus. Für den Irreligiösen ist jede religiöse, für den Hedoniker jede asketische Lebensführung 'irrational', mag sie auch, an ihrem letzten Wert gemessen, eine 'Rationalisierung' sein. Wenn zu irgend etwas, so möchte dieser Aufsatz dazu beitragen, den nur scheinbar eindeutigen Begriff des 'Rationalen' in seiner Vielseitigkeit aufzudecken."

255

Es gibt Menschen, und vielleicht nimmt ihre Zahl zumindest im Okzident ab, denen der Mantel der Religion oder Metaphysik von Natur aus zu passen scheint, weil sie von Natur aus religiöse oder metaphysische Wesen sind. Sie tragen ein religiöses oder metaphysische a priori in sich. Das macht sie immun gegen jede Entzauberung.

Dienstag, 14. März 2017

254

Die Erneuerung konstruktiv-messianischer Energien in der säkularen Aufklärungsphilosophie lässt sich durchaus als Antwort begreifen auf die reformatorische Entzauberung der Weltwirklichkeit. Sie lässt sich vergleichen mit der religiösen Antwort des Christentums auf die paulinischen Entzauberungen. Hier wie dort trifft, ganz im Sinne Max Webers, die Zumutung des Glaubens auf die Existenz. Und die Existenz erweist sich als unfähig, der Zumutung standzuhalten. Der Glaube wird transformiert zur weltheilenden Lehre, Praxis des Glaubens wird heilende Weltumgestaltung.

253

Warnung für alle, die reservativ geneigt sind: Grund und Verheißung, Herkunft und Zukunft als Weltwirklichkeiten – das ist der Preis, der für reservatives Leben zu zahlen ist. „Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach“ (Mk 10,21). Wer dazu nicht bereit ist, wer nicht das Letzte auch noch loslassen will als ob nicht, der lässt es besser ganz. Der ist vielleicht eher für die Religion gemacht.

Montag, 13. März 2017

252

Liebe unter Gültigkeitsbedingungen, unter Bedingungen repräsentativer Interpretation, ist immer nur Instrumentalisierung des Anderen im Dienste der eigenen Gültigkeiten (was durchaus als beeindruckende Selbstlosigkeit erscheinen kann).

251

Am vergangenen Wochenende bin ich noch einmal nach dem Warum des als ob nicht gefragt worden. Dahinter steht die Frage nach Grund und Verheißung der Ungültigkeitsinterpretation, nach ihrem Wirklichkeitsfundament und ihrem Wirklichkeitsversprechen.

Samstag, 11. März 2017

250

Paulus interpretiert die Weltwirklichkeit so, als wäre sie aufgehoben und überwunden, als wäre sie ungültig, als ob nicht. Die paulinische Ungültigkeitsuniversalität gilt für die Weltwirklichkeit überhaupt, auch für alle wirklichen Menschen, auch für alle Menschen als Wirklichkeit – und dies gleichermaßen.
Und doch fordert Paulus im wirklichen Miteinander von Menschen so etwas wie ein Ungültigkeitsgefälle: Der Mensch soll sich selbst gegenüber anderen Menschen gewissermaßen als ungültiger begreifen. Der Einzelne hat vor allem und insbesondere sich selbst dem Gesetz des Messias, dem als ob nicht zu stellen, zu unterstellen, zu unterwerfen. Den Anderen soll der Einzelne demgegenüber gewissermaßen als weniger ungültig begreifen. In Gültigkeitsbegriffen formuliert: „In Demut achte einer den Anderen höher als sich selbst“ (Phil 2,3). Vielleicht ist dieser Gedanke einer der Schlüssel zum Verständnis der paulinischen Ekklesia als Ungültigkeitsgemeinschaft, als Gemeinschaft von Ungültigen.

249

Noch ein kurzer Gedanke zu Weber: Wenn er sagt, der Einfall ersetze nicht die Arbeit, dann gilt dieser Satz wohl auch (oder noch viel mehr) umgekehrt. Keine Arbeit kann den Einfall, die Intuition ersetzen. Die geistes- und sozialwissenschaftliche Wissenschafts- und Publikationsindustrie der Gegenwart ich zweifellos beeindruckend. Aber sie ist auch erschreckend einfallslos, intuitionslos.

Donnerstag, 9. März 2017

248

Eine typisch pubertäre Reaktion auf eine unbequeme Entscheidungs- und Handlungszumutung: übertreibende und verzerrende Verallgemeinerung der Zumutung. Absicht: Entscheidungs- und Handlungsvermeidung.

Mittwoch, 8. März 2017

247

Mit Wilhelm Hennis habe ich mich gestern noch einmal der Fragestellung Max Webers angenähert. Ich halte es für sinnvoll, zwischen Annahme und Frage zu unterscheiden. Ein Versuch.

246

Rückblickend, analysierend, diagnostizierend ist meine Dissertation ein entscheidender Schritt heraus aus meiner religiösen Herkunft hinein in die säkulare Moderne. Das Buch ist Ergebnis eines sich selbst säkularisierenden Denkens, wobei an diesem Denken unverkennbar große kantische und auch noch offenbarungspositivistische Eierschalen kleben.
Nach meiner Dissertation ist es mir dann nicht gelungen, mich im säkularen Denken bequem einzurichten. Nur wenig später hat mich die Auseinandersetzung mit Bonhoeffers Religionslosigkeit (mit guten Gründen könnte ich auch formulieren: das unverfügbare Ereignis einer existenziellen Auseinandersetzung mit Bonhoeffer) aus dem Sessel der Säkularität herausgerissen und in die Offenheit einer bislang unbestimmten Postsäkularität gehängt. In dieser Offenheit habe ich dann nicht zuletzt die kantischen und offenbarungspositivistischen Eierschalen verloren.

245

Mein Unbehagen in der Kultur ist weniger trieb- oder instinktbedingt (Freud). Als Triebwesen bin ich durchaus auch, vielleicht sogar überwiegend Kulturwesen. Mein Unbehagen in und an der Kultur gründet in meiner Interpretation (Glaube), ist reservativ begründet. Meine Kritik der Kultur steht damit nicht im Dienst des Triebs, sondern im Dienst reservativen Lebens.

Dienstag, 7. März 2017

244

Gestern bin ich in den Vorbemerkungen zur Protestantischen Ethik noch einmal über Max Webers Kritik des wissenschaftlichen Dilettantismus gestolpert.

Montag, 6. März 2017

243

Am vergangenen Samstag im Münchener Gasteig: Hauptprobe für das Luther-Oratorium am 18. März 2017 in der Olympiahalle. Gegen Ende ein kurzer und doch allzu langer Auftritt von Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der EKD.

242

Wem die Wirklichkeit nicht zu einer bedrängenden Frage wird, zu einer Frage, die sich nicht beantworten lässt, dem bleibt der Zugang zu reservativem Denken und Leben verschlossen.

Sonntag, 5. März 2017

241

In Berlin, so lässt sich heute im SPIEGEL lesen, sei es jetzt hip, sich polyamor zu nennen. Die säkulare Emanzipationsbewegung frisst ihre Kinder. Polyamorie – ein eindrückliches und repräsentatives Phänomen dafür, dass das Menschenrecht gerade als gelebte Realität nichts anderes hervorbringt als einen Zustand unregulierter und zunehmend unregulierbarer Instinktbedingtheit, also einen Zustand, der nur noch einen Fußbreit entfernt ist vom Übertritt in einen realen Krieg aller gegen alle. In der Menschenrechtsidee ist der Keim der Selbstunterwanderung bereits angelegt.

240

Es hilft vielleicht, wenn noch einmal nach dem paulinischen Motiv gefragt wird: Warum ist Paulus so sehr daran interessiert, sein Evangelium, seine Interpretation vom Sieg des Messias über die Weltwirklichkeit unter die Leute zu bringen?

239

Es ist befremdend und lächerlich zugleich, wenn das politische und religiöse (insbesondere das kirchliche) Establishment Reformation feiert. Es feiert mit der Reformation immer auch sich selbst und damit das, was dringend der Reformation bedürfte.

Freitag, 3. März 2017

238

Das deutsche Wissenschaftssystem zwingt im zunehmend funktionalistisch-ökonomistischen Modus des Fortschritts auch die sogenannten Geisteswissenschaften zu dem, was man Forschung nennt. Das System unterdrückt damit zugleich das Denken.

Donnerstag, 2. März 2017

237

Mit meinem Text zu einer möglichen Theologie der Matrix-Trilogie habe ich vor gut 10 Jahren angehoben, den Denkraum meiner religiös-metaphysischen Herkunft zu verlassen.