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Sonntag, 23. Oktober 2016

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Das Christentum ist nichts anderes als der höchst erfolgreiche Versuch, die messianische Ungültigkeitsinterpretation zu popularisieren.

Popularität gewinnt diese Interpretation allein durch ihre totale Entstellung, durch ihre repräsentative Verkehrung unter Beibehaltung ihrer Begriffe und Symbole. Die römische Kirche ist der machtvolle und erfolgreiche Versuch, die repräsentative Verkehrung des messianischen Ereignisses institutionell abzusichern, also weitestgehend sicherzustellen, dass die christlichen Uminterpretationen nicht der Masse preisgegeben und damit dem unkontrollierten Zerfall ausgeliefert werden. Dieser Versuch ist tapfer, muss aber zuletzt scheitern – auch und vor allem, weil das Christentum den Keim seiner eigenen Zersetzung konserviert und auto-dekonstruktiv durch die Zeit trägt: das messianische Ereignis selbst.
Wer den Lauf des römischen Christentums durch die (abendländische) Geschichte verfolgt, wird Senecas Einsicht bestätigt finden: Fata volentem ducunt, nolentem trahunt. Den Willigen führt, den Unwilligen schleift das Schicksal. Wer sich der reservativen Interpretation anvertraut, den führt sie durch den Gang der Weltwirklichkeit. Wer sich ihr repräsentativ verweigert, der wird unerbittlich geschleift – im zweifachen Sinne des Begriffs. Gerade so ließe sich auch das Wort interpretieren, das Jesus über Petrus ausspricht, den Repräsentanten der römisch-christlichen Repräsentationen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst“ (Joh 21,18). Wir Gegenwärtigen sind Augenzeugen dessen, was Jesus hier ankündigt: Das einst so mächtige Christentum wird messianisch geschleift.

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