Noch mehr bedrückt mich aber inzwischen, dass in den wissenschaftlichen Kontexten, in denen ich mich mündlich oder schriftlich zu Wort melde, meine reservativen Interpretationen gar keinen Raum haben können, weil sie allzu voraussetzungsreich sind und bei Hörern und Lesern ohnehin unter der Hand repräsentativ uminterpretiert werden. Besonders eindrücklich ist mir hier die Aussprache nach meinem Habilitationsvortrag (2013) in Erinnerung. Einem Fachpublikum Rede und Antwort zu stehen, das eine repräsentative Argumentation erwartet, war nahezu unmöglich. Vieles musste offen, vieles sogar ungesagt bleiben. Glücklicherweise sind mir einige kluge Anwälte des Denkens beigesprungen, die mit derartigen Zuständen, mit der Last des (noch) nicht Sagbaren vertraut sind.
Gegenwärtig empfinde ich es als zunehmend unbefriedigend, dass ich in einigen Lehrveranstaltungen genötigt bin, Gültigkeiten zu vermitteln, die nicht meine sind, dass ich diesen Gültigkeiten jedoch keine repräsentativen Alternativen entgegen stellen kann. Was mir bleibt, ist dies: der eher irritierende Hinweis, ich sei kein Repräsentant dieser Gültigkeiten - darüber hinaus dann noch ein wenig Dekonstruktion hier, ein wenig Dekonstruktion dort.
Das wird wohl nicht so bleiben können. Was für mich auf Dauer nicht in Frage kommt, ist die Lösung Franz Overbecks: mit Nietzsche am Küchentisch den Antichristen vorbereiten, zugleich aber der Öffentlichkeit, vor allem den eigenen Studenten, die eigenen Interpretation vorenthalten.
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