Manchmal bin ich versucht, ganz ähnlich zu formulieren: Wer einmal Reservation gekostet hat, den ekelt auf immer alles repräsentative Gewäsche, womit er vorher aus Not vorlieb nahm, weil seine Interpretation etwas bedurfte, und nichts Besseres zu ihrer Unterhaltung finden konnte. Doch damit wäre lediglich der hochmütige kantische Dualismus kopiert, der eine spezifische Rationalität als Sicherheit anbietet. Kantische Rationalität soll uns nicht allein die Möglichkeit eröffnen, uns über den Sumpf der Weltwirklichkeit als Erscheinung zu erheben. Sie verspricht zugleich, den Sumpf der Welt langfristig trocken zu legen.
Richtig ist: Der Übergang hinein in die reservative Interpretation gleicht einer kopernikanischen Wendung, hinter die es kein Zurück in die Repräsentationen gibt. Diese Interpretation ist und bleibt jedoch angefochtenes Wagnis und taucht uns zugleich tief hinein in den Sumpf der Weltwirklichkeit. Mehr noch: Der reservativ Interpretierende ist und bleibt in gewissem Sinne ununterscheidbarer Teil dieses Sumpfes, ist und bleibt selbst Sumpf (Nr. 78: peccator et adnullatus).
Anmerkung: Kants Kritik ist noch keine nach-repräsentative Interpretation von Weltwirklichkeit. Hier wird lediglich die (vorläufige, unverzichtbare und unhintergehbare) Konsequenz aus der Einsicht gezogen, dass Transzendenz, also alles, was nicht Erscheinung ist, als nicht repräsentabel gelten muss in der Weltwirklichkeit, und dass alle Versuche, Transzendenz dennoch zu repräsentieren, nichts anderes sind als höchst strittige und tatsächlich auch heftig umstrittene dogmatische Setzungen. Die Lösung, die Kant nach dem Ende repräsentabler Transzendenz anbietet, lebt noch von der Annahme, Transzendenz ließe sich durch ein repräsentables transzendentales Konstrukt ersetzen. Gegenwärtig schrecken wir gerade in Deutschland noch vor der Einsicht zurück, dass auch diese Annahme an ihr Ende gekommen ist.
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