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Dienstag, 4. Oktober 2016

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Das mosaische Bilderverbot (Ex 20, 3–5) untersagt alle Götter neben Gott. „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht“.

Streng genommen ist das mosaische Bilderverbot ein Verbot repräsentativer Interpretation und Praxis überhaupt. Repräsentativ denken, sprechen und leben ist Götzendienst. Erst im Zeitalter der Heraufkunft der Gleich-Gültigkeit, im Zeitalter des werdenden Nihilismus lässt sich ahnen, welch radikale Wendung im Denken, Sprechen und Leben damit von uns gefordert ist.
Es ist die wesentliche Leistung der Reformation, die mögliche Repräsentation des Göttlichen (und damit den Götzendienst) auf die Schrift, und in der Schrift auf Christus eingeschränkt zu haben. Dies ist jedoch zugleich die Grenze der Reformation. Sie findet noch keinen Ausstieg aus den Repräsentationen.
Sie trägt vielmehr entscheidend dazu bei, dass sich die Interpretationen der noch möglichen Repräsentanz Gottes pluralisieren, zugleich aber auch die praktischen Repräsentationen dieser Interpretationen. Die Pluralität des modernen Menschen, des modernen Individuums, des modernen Subjekts, die wir im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat zu moderieren versuchen, ist auch Produkt des in den spezifisch reformatorischen Repräsentationen noch konservierten Götzendienstes. Die Reformation ist wesentliche Mitursache des Götzendienstes der Gleich-Gültigkeit. Sie bleibt unvollendet, solange sie sich nicht von den Repräsentationen überhaupt löst und sie reservativ hinter sich lässt.

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