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Mittwoch, 19. Oktober 2016

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Paulus bezeichnet jene als schwach im Glauben, die noch in repräsentativen (religiösen) Interpretationen und in einer repräsentativen (religiösen) Praxis gefangen sind. Schwach im Glauben ist, wer irgendetwas Weltwirkliches (z. B. bestimmte Speisen oder Getränke) für repräsentativ hält – und zwar so, dass die jeweilige Repräsentation ihn vom Gebrauch des jeweiligen Weltwirklichen abhält (Röm 14; 1 Kor 8).

Für Paulus selbst ist im Ungültigkeitsglauben als ob nicht nichts Weltwirkliches vom Gebrauch ausgeschlossen. Ausgeschlossen ist es nur für den, der es für ausgeschlossen hält, der es so interpretiert, als müsse es ausgeschlossen werden (Röm 14,14). Nun äußert sich der paulinische Ungültigkeitsglaube, der Glaube des Starken, in der Begegnung mit dem Schwachen aber gerade nicht in Zwangsaufklärung. Reservation ist nicht rücksichtslose Durchsetzung einer radikal aufgeklärten Interpretation und Praxis. Reservation kann durchaus auch meinen, die eigene Weltwirklichkeitsfreiheit loszulassen und die Schwäche des Schwachen durch Teilhabe als ob an dessen Schwäche mitzutragen. Reservation ist Freiheit zum Gebrauch und Nicht-Gebrauch des Weltwirklichen zugleich. Entscheidend ist immer das konkrete Hier und Jetzt, der konkrete Kontext. Wenn der Schwache durch meine reservative Praxis in seiner je eigenen Interpretation zur Unfreiheit verleitet wird, dann ist es besser, wenn ich in meiner reservativen Freiheit an seiner Unfreiheit anteilnehme als ob (z. B. in seinem Beisein bestimmte Speisen nicht esse oder bestimmte Getränke nicht trinke).

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