Freitag, 29. April 2016
69
Was bietet der christliche Gott und welchen (Selbst-)Transformationen unterzieht er sich in seiner etwa 1700jährigen Geschichte?
Mittwoch, 27. April 2016
68
Der moderne Mensch formuliert Gesetze und greift mit diesen unmittelbar auf die Welt zu. Er wird zum Konstrukteur seiner eigenen Welt und der Weltwirklichkeit überhaupt. Die Euphorie, die sich dabei seiner bemächtigt, ist nur allzu verständlich. Ein neuer als ob Gott ist geboren: der Mensch, dessen Ideen nicht bloß als Entwurf, sondern auch als Möglichkeit von Weltwirklichkeit verstanden werden dürfen. Die menschliche Idee setzt den Zweck, zugleich aber auch die Gültigkeiten (Gesetze), denen zur Erreichung des Zwecks Folge geleistet werden muss. Und das scheint sogar zu funktionieren. Die alte christliche Hoffnung auf Weltbesserung oder gar Weltheilung, die Annahme einer Heilsgeschichte, einer allmählichen Vergöttlichung der Weltwirklichkeit kehrt säkularisiert und massiv dynamisiert zurück.
Dienstag, 26. April 2016
67
Im christlichen Hochmittelalter rücken Gotteswirklichkeit und Weltwirklichkeit auseinander. Wer und wie Gott eigentlich ist, wird unsicher. Ob sein Wesen, Wollen und Handeln in nachvollziehbare und verlässliche Gültigkeiten (Gesetze) gefasst werden können, oder ob Gott nun als reiner „Willkürgott“ (Hans Blumenberg) vorgestellt werden muss, lässt sich kaum noch sagen. Gott wird entweltlicht, die Welt wird entgöttlicht. Es beginnt ein langes zähes Ringen um die Frage, inwiefern Gott und die von ihm möglicherweise ausgehenden Gültigkeiten noch als relevant für die Weltwirklichkeit vorgestellt werden können, wie die Weltwirklichkeit selbst zu begreifen und wie sie in geeigneter Weise zu bearbeiten ist.
Montag, 25. April 2016
66
Indem er die Weltwirklichkeit durch die Begriffe Sünde und Gesetz hindurch interpretiert, nimmt Paulus unser gegenwärtiges Wirklichkeitsverständnis weitgehend vorweg, treibt dieses sogar noch auf die Spitze.
Samstag, 23. April 2016
65
Was ich hier formuliere, ist nicht mehr als ein Denkexperiment. Dabei geht es nicht um „Wahrheit“. Auch wenn ich positionell auftrete, so erprobe ich doch bloß eine Interpretationsbewegung. Ich knüpfe an paulinischen Denkversuchen an und treibe sie auf meine ganz eigene Weise voran. Worauf das hinauslaufen wird, ist für mich noch nicht absehbar. In der Zwischenzeit beruhige ich mich mit dem guten alten Rat des Gamaliel (Apg 5,38f).
Freitag, 22. April 2016
64
Die funktionale Beziehung, die Paulus zwischen Gesetz und Sünde zu konstruieren beginnt, lässt sich verallgemeinern.
Donnerstag, 21. April 2016
63
Wenn man die paulinische Verhältnisbestimmung von Gesetz und Sünde theologisch ernst nimmt, dann ist damit zunächst dem mosaischen Judentum eine enttäuschende Aufklärung zugemutet.
Mittwoch, 20. April 2016
62
Der neue SCM-Katalog lag gestern in unserem Briefkasten – das Warenangebot der Stiftung Christliche Medien, einer evangelikalen deutschen Verlagsgruppe. Nein, ich habe SCM bislang noch nicht darüber informiert, dass mich ihre Produkte nicht mehr interessieren. Sie interessieren mich nämlich durchaus. Nicht, weil ich sie tatsächlich kaufen wollte. Sondern weil ich von Zeit zu Zeit gerne einmal nachschaue, was in evangelikalen Kreisen gerade so angesagt ist.
Dienstag, 19. April 2016
61
Der paulinische Sündenbegriff zieht eine markante Grenze zwischen Gotteswirklichkeit und Weltwirklichkeit. Die Welt ist Sünde, der Mensch ist Sünder. Das meint zunächst: Welt und Mensch sind ganz anders als Gott. Das meint zudem: Menschliche Rationalität und Sinnlichkeit sind nicht göttlich. Sie bieten noch nicht einmal Zugänge zum Göttlichen. Sie sind vielmehr Erscheinungsformen der Sünde. Das bedeutet wiederum: Religion und Moral, alle Bemühungen, sich innerweltlich an irgendetwas Höheres oder Allgemeines zu binden, bringen nichts Göttliches hervor oder werden dem Göttlichen irgendwie gerecht. Noch nicht einmal analogisch. Noch nicht einmal annähernd. Religion und Moral sind pure Immanenz, also Äußerungen der Sünde.
Sonntag, 17. April 2016
60
Als Kind wollte ich nie in den Himmel. Ich hatte Angst vor der Langeweile. Heute würde ich die kindliche Intuition theologisch aufgeklärt zuspitzen: Wenn der Himmel auch nur die geringste Ähnlichkeit hat mit der Weltwirklichkeit, dann ist mir das vorgeburtliche Nichts lieber.
59
Konfirmationsgottesdienst in einer lutherischen Kirche in Oberbayern. Fürchterlich. Weder Fisch noch Fleisch. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Zur theologisch-kultischen Melange kommt die religiöse Virtualität. Mehr substanzloses Theater geht nicht.
Samstag, 16. April 2016
58
Jede Straßenkreuzung, vor allem jede Verkehrssituation, in der das, was zu tun oder zu lassen ist, sich nicht unmittelbar erschließt, erinnert mich daran, dass unser Zusammenleben irgendwie koordiniert werden muss. Gesetz und Recht, die wir zu diesem Zweck gebrauchen, sind gewachsen aus der religiös-metaphysischen Tradition, haben also repräsentativen Charakter. Sie formulieren Gültigkeiten, aus denen wir Ansprüche ableiten – Ansprüche, mit deren Hilfe wir etwas einfordern oder die es uns ermöglichen, fremde Ansprüche zurückzuweisen. Gesetz und Recht, wie wir sie kennen und anwenden, sind demnach ihrem Wesen nach konfrontativ, auf Streit oder gar auf Krieg angelegt. Lassen sich Gesetz und Recht auch reservativ denken? Lassen sie sich als Ungültigkeiten begreifen, die uns gerade nicht dazu zwingen, unser Zusammenleben in der Mechanik von Anspruchsdurchsetzung und Anspruchsabwehr zu kordinieren? Lassen sie sich als Formulierung einer im besten Sinne des Wortes not-wendigen Gabe verstehen, die selbst wiederum nicht Pflicht ist?
Freitag, 15. April 2016
57
Es gibt analoge Strukturen im jüdischen, im islamischen, im calvinisch-reformatorischen und im kantisch-idealistischen Denken.
Donnerstag, 14. April 2016
56
Religiöse und metaphysische Wirklichkeitsinterpretationen münden immer in Bemühungen um Transzendenzrealisierung. Es werden ganz unterschiedliche Verhältnisbestimmungen zwischen Transzendenz und Immanenz vorgenommen, zuletzt aber geht es immer darum, wie wir in der Weltwirklichkeit dem transzendenten Anspruch gerecht werden können. Keine andere religiöse und keine andere metaphysische Interpretation der Weltwirklichkeit ist allerdings so massiv mit Erwartungen und transzendentem Druck aufgeladen, wie die christliche. In keiner anderen Interpretation wird so stark betont, Versöhnung und Einheit von Transzendenz und Immanenz seien möglich. In keiner anderen Interpretation wird so massiv gefordert, Versöhnung und Einheit von Transzendenz und Immanenz seien praktisch zu realisieren.
Mittwoch, 13. April 2016
55
Das frühe Christentum muss eine Antwort darauf geben, welche Relevanz es für eine offenbar doch nicht endende Weltwirklichkeit haben kann. Diese Antwort wird hineinformuliert in die sich verschärfende weltanschauliche und politische Krise der späten Antike. Sie soll die Christen nicht nur existenziell sichern, sondern ihnen zudem die Möglichkeit eröffnen, Geltung und Anerkennung zu finden. Das Christentum als Antwort beendet die Zeit des paulinischen Wartens. Der Messias wird zum Christus uminterpretiert, die Realisierung des Heils der Weltwirklichkeit wird nicht mehr bloß erhofft, sondern religiös-politisch angepackt.
Dienstag, 12. April 2016
54
Die paulinische Interpretation dessen, was Sünde ist, findet sich vor allem im Römerbrief. Paulus greift hier in seinen ersten Annäherungsversuchen auch auf Begriffe und Bilder zurück, die sich durchaus noch repräsentativ und damit traditionell verstehen lassen. Im Licht des reservativen als ob nicht deutet sich jedoch an, dass Paulus gerade jene religiösen (theologischen) und metaphysischen (philosophischen) Traditionen hinter sich zu lassen versucht, aus denen später das Christentum hervorgehen wird.
Montag, 11. April 2016
53
Es gibt einige Begriffe der christlich-religiösen Tradition, an deren Verwendung wohl auch künftig kein Weg vorbeiführt – die allerdings nachdrücklich uminterpretiert werden müssen, wenn sie uns noch einmal weiterhelfen sollen. Was meint zum Beispiel der Begriff Sünde? Genauer: Was assoziieren und verstehen wir, wenn wir den Begriff Sünde hören?
Sonntag, 10. April 2016
52
Weiß noch jemand, wie das geht: bedingungslos für jemanden da sein, selbst wenn das bedeutet, sich selbst loszulassen (Joh 15,13)? Im gegenwärtigen Nihilismus, in der Gleich-Gültigkeit unserer Gegenwart ist offenbar, dass Haltung und Praxis dessen, was Liebe genannt werden kann, sich auf nichts zuverlässig gründen lässt, was wirklich ist. Nicht auf Gefühl und nicht auf Vernunft.
Samstag, 9. April 2016
51
Todestag Bonhoeffers. Ich mag keine Fest-, Feier- oder Gedenktage. Entweder wird etwas oder jemand Bedeutungsloses gefeiert, oder man entlastet sich an diesen Tagen davon, das oder den, was oder der gefeiert wird, alltäglich bedeutsam sein zu lassen. Besonders unangenehm sind mir Gottesdienste und eigene Geburtstage.
Freitag, 8. April 2016
50
„Lass dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2 Kor 12,9). Kaum ein paulinischer Satz ist schwerer zu ertragen als dieser.
Donnerstag, 7. April 2016
49
Seit Jahren wird im deutschen Pop wieder deutsch gesungen. Das Schlimme daran ist: Man versteht die Texte unmittelbar. Vorhin im Auto wieder einmal EFF, das neue Pop-Duo mit seiner Debütsingle.
Mittwoch, 6. April 2016
48
Ideengeschichtlich scheint es nicht unerheblich, dass sich das islamische Denken nach seiner Blütezeit im späten Mittelalter vom abendländischen Diskurs abzukoppeln beginnt – also ausgerechnet in dem Augenblick, in dem die Hochscholastik erste Grundlagen schafft für Reformation und Aufklärung. Angesichts dessen wird hier und da die Forderung formuliert, der Islam müsse Reformation und Aufklärung gewissermaßen nachholen.
Dienstag, 5. April 2016
47
Im Anschluss an den Religionsphilosophen Jacob Taubes lässt sich eine spannende Entwicklungsdynamik beobachten, die messianischen Wirklichkeitsinterpretationen eigentümlich zu sein scheint.
Montag, 4. April 2016
46
Der populäre linke Philosoph Slavoj Žižek ist dafür bekannt, dass er gerne auf vulgäre Witze zurückgreift, um psychoanalytische oder politische Diagnosen zu stellen. Einer dieser Witze berichtet von einer Begebenheit aus dem von Mongolen besetzten Russland des 14. Jahrhunderts.
Samstag, 2. April 2016
45
Ich will einen ersten Versuch unternehmen, mich der Bestimmung wesentlicher Begriffe meines Blogs – messianisch, reservativ, abrahamitisch – kurz anzunähern.
Freitag, 1. April 2016
44
Es „gibt“ nur eine Wahrheit: die Wahrheit, dass es keine Wahrheit „gibt“, oder anders: die Wahrheit, dass alle Wahrheiten, die es „gibt“, gleich-gültig sind (Kreuz). Eine zweite Wahrheit „gibt“ es nicht, sie muss vielmehr glaubend gewagt werden. Die Wahrheit nämlich, dass alle Wahrheiten, die es „gibt“, gleichermaßen als aufgehoben und überwunden gelten können, oder anders: dass alle Wahrheiten, die es „gibt“, als gleich-ungültig interpretiert werden dürfen (Auferstehung).
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Alles Leben ist Problemlösen (Karl Popper) – und Enttäuschungsbewältigung.