Üblicherweise hat Sünde für uns zunächst einen religiös-moralischen Klang. Vorausgesetzt ist ein positives Gültigkeitsverhältnis zwischen Transzendenz und Immanenz. Dem Göttlichen lassen sich allgemein verbindliche Vorgaben (Gesetze) für das entnehmen, was ihm selbst gemäß ist, was also alle Menschen glauben, denken und tun müssen, damit das Göttliche im Weltwirklichen real werden kann – oder ein wenig nominalistischer: damit dem göttlichen Willen im Weltwirklichen entsprochen wird. Wer nun sündigt, wer also gegen die allgemein verbindlichen Vorgaben verstößt, der lehnt sich gegen das Göttliche oder den göttlichen Willen auf und entzieht sich selbst und anderen damit die entscheidende Bedingung für ein gelingendes individuelles und kollektives Leben. Wer demgegenüber nach dogmatischer und ethischer Reinheit und Treue strebt (Gehorsam oder Pflichterfüllung), der müht sich zumindest darum, dem Göttlichen gerecht zu werden und trägt so zu einem gelingenden Leben bei.
Im christlichen Abendland ist diese religiös-moralische Vorstellung von Sünde spätestens seit Augustinus verknüpft mit einer spezifischen Verhältnisbestimmung von Rationalität und Sinnlichkeit. Der Mensch ist Vernunftwesen und Triebwesen zugleich. Grundsätzlich geht Augustinus ganz traditionell davon aus, das Göttliche sei über die menschliche Vernunft zugänglich. In seiner Auseinandersetzung mit Pelagius will er allerdings die Gnadenbedürftigkeit des Menschen hervorheben. Der britische Mönch behauptet, der Mensch sei von Natur aus fähig, das Göttliche zu wollen und zu vollbringen. Dem stellt Augustinus den Gedanken der sogenannten Erbsünde entgegen: Mit Adams Ursünde (peccatum originale) hat sich im Menschen das Triebwesen dauerhaft über das Vernunftwesen erhoben. Die menschliche Natur ist nun auf Dauer korrumpiert und in erbliche Verderbnis gefallen (die scholastische Theologie spricht von haereditaria corruptio). Kein Mensch kann sich daher aus eigener Kraft dem religiös-moralischen Anspruch Gottes annähern – weder im Denken noch im Tun. Dazu bedarf es der göttlichen Gnade.
Wenn wir im abendländischen Kontext den Begriff Sünde hören, dann setzen wir also zunächst das Göttliche im Sinne eines lebensdienlichen Denkens und Lebens als gegeben voraus. Das Lebensdienliche ist das Universale, also das, was für alle gilt. Das Universale ist das Vernünftige, also das, was sich alle durch vernünftige Überlegung als das Lebensdienliche erschließen können. Allerdings steht das Vernünftige im Streit mit dem Sinnlichen, mit unseren natürlichen Trieben, die uns vom Vernünftigen abhalten wollen. In diesem Streit siegt allzu oft oder gar immer die Sünde – die Macht der Triebe. Sünde meint demnach die Niederlage der Vernunft. Diese Vorstellung spiegelt sich selbst in unseren säkularisierten und banalisierten Sündenbegriffen noch wieder: Im leckeren Kuchen, den wir uns trotz überschüssiger Pfunde als „kleine Sünde“ genehmigen. Im „Verkehrssünder“, dessen Neigungen, gegen dienliche Regeln zu verstoßen, in einer zentralen Kartei erfasst werden. In den „Jugendsünden“, für die wir uns mit dem Hinweis auf unsere mangelhaft ausgebildete Rationalität entschuldigen. Und natürlich in der Hamburger „Sündenmeile“ Reeperbahn, die dazu beiträgt, dass verlässliche intime Partnerschaften untergraben werden.
Zwischenbemerkung: In der christlich-abendländischen Tradition gilt vor allem der Sexualtrieb als gefährlich. Auch das geht auf Augustinus zurück. Sein christlicher Kampf richtet sich nicht zuletzt aus biographischen Gründen gerade auch gegen die sexuelle Begierde, und nicht zufällig verdeutlicht Augustinus die Macht der Erbsünde ausgerechnet am Beispiel der Sexualität. Ein wenig überzogen könnte man durchaus sagen: Der abendländische, sexualisierte Sündenbegriff hat viel zu tun mit den Problemen, die Augustinus mit sich selbst hatte.
Die verschiedenen christlichen Strömungen und Konfessionen haben das Machtverhältnis von lebensdienlichen (göttlichen) Regeln und korrumpierenden Trieben unterschiedlich bestimmt. Entsprechend haben sie unterschiedliche Vorstellungen formuliert, wie der Lebensdienlichkeit im einzelnen Menschen und in Gemeinschaften zum Sieg verholfen werden kann. Durchweg bleibt dabei der Gedanke präsent, der Mensch sei Sünder, also religiös-moralisch defizitär oder korrupt, und das Wesen des Christentums sei es, dafür die einzige Lösung bereit zu halten. Der Philosoph Herbert Schnädelbach bezeichnet diesen Gedanken als „menschenverachtend“ und hält die augustinisch-christliche Sündenlehre für einen entscheidenden „Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion“. Schnädelbach läge gar nicht so falsch, wenn er diesen Fehler nicht zugleich Paulus anlasten würde. Es ist aber einer der wesentlichen Geburtsfehler des Christentums, dass der paulinische Sündenbegriff aufgegeben wurde.
Im christlichen Abendland ist diese religiös-moralische Vorstellung von Sünde spätestens seit Augustinus verknüpft mit einer spezifischen Verhältnisbestimmung von Rationalität und Sinnlichkeit. Der Mensch ist Vernunftwesen und Triebwesen zugleich. Grundsätzlich geht Augustinus ganz traditionell davon aus, das Göttliche sei über die menschliche Vernunft zugänglich. In seiner Auseinandersetzung mit Pelagius will er allerdings die Gnadenbedürftigkeit des Menschen hervorheben. Der britische Mönch behauptet, der Mensch sei von Natur aus fähig, das Göttliche zu wollen und zu vollbringen. Dem stellt Augustinus den Gedanken der sogenannten Erbsünde entgegen: Mit Adams Ursünde (peccatum originale) hat sich im Menschen das Triebwesen dauerhaft über das Vernunftwesen erhoben. Die menschliche Natur ist nun auf Dauer korrumpiert und in erbliche Verderbnis gefallen (die scholastische Theologie spricht von haereditaria corruptio). Kein Mensch kann sich daher aus eigener Kraft dem religiös-moralischen Anspruch Gottes annähern – weder im Denken noch im Tun. Dazu bedarf es der göttlichen Gnade.
Wenn wir im abendländischen Kontext den Begriff Sünde hören, dann setzen wir also zunächst das Göttliche im Sinne eines lebensdienlichen Denkens und Lebens als gegeben voraus. Das Lebensdienliche ist das Universale, also das, was für alle gilt. Das Universale ist das Vernünftige, also das, was sich alle durch vernünftige Überlegung als das Lebensdienliche erschließen können. Allerdings steht das Vernünftige im Streit mit dem Sinnlichen, mit unseren natürlichen Trieben, die uns vom Vernünftigen abhalten wollen. In diesem Streit siegt allzu oft oder gar immer die Sünde – die Macht der Triebe. Sünde meint demnach die Niederlage der Vernunft. Diese Vorstellung spiegelt sich selbst in unseren säkularisierten und banalisierten Sündenbegriffen noch wieder: Im leckeren Kuchen, den wir uns trotz überschüssiger Pfunde als „kleine Sünde“ genehmigen. Im „Verkehrssünder“, dessen Neigungen, gegen dienliche Regeln zu verstoßen, in einer zentralen Kartei erfasst werden. In den „Jugendsünden“, für die wir uns mit dem Hinweis auf unsere mangelhaft ausgebildete Rationalität entschuldigen. Und natürlich in der Hamburger „Sündenmeile“ Reeperbahn, die dazu beiträgt, dass verlässliche intime Partnerschaften untergraben werden.
Zwischenbemerkung: In der christlich-abendländischen Tradition gilt vor allem der Sexualtrieb als gefährlich. Auch das geht auf Augustinus zurück. Sein christlicher Kampf richtet sich nicht zuletzt aus biographischen Gründen gerade auch gegen die sexuelle Begierde, und nicht zufällig verdeutlicht Augustinus die Macht der Erbsünde ausgerechnet am Beispiel der Sexualität. Ein wenig überzogen könnte man durchaus sagen: Der abendländische, sexualisierte Sündenbegriff hat viel zu tun mit den Problemen, die Augustinus mit sich selbst hatte.
Die verschiedenen christlichen Strömungen und Konfessionen haben das Machtverhältnis von lebensdienlichen (göttlichen) Regeln und korrumpierenden Trieben unterschiedlich bestimmt. Entsprechend haben sie unterschiedliche Vorstellungen formuliert, wie der Lebensdienlichkeit im einzelnen Menschen und in Gemeinschaften zum Sieg verholfen werden kann. Durchweg bleibt dabei der Gedanke präsent, der Mensch sei Sünder, also religiös-moralisch defizitär oder korrupt, und das Wesen des Christentums sei es, dafür die einzige Lösung bereit zu halten. Der Philosoph Herbert Schnädelbach bezeichnet diesen Gedanken als „menschenverachtend“ und hält die augustinisch-christliche Sündenlehre für einen entscheidenden „Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion“. Schnädelbach läge gar nicht so falsch, wenn er diesen Fehler nicht zugleich Paulus anlasten würde. Es ist aber einer der wesentlichen Geburtsfehler des Christentums, dass der paulinische Sündenbegriff aufgegeben wurde.
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