Wer die „Wahrheit“ Gottes (Offenbarung) als historische Tatsache behauptet, wer also die punktuelle, ereignishafte Präsenz der Gotteswirklichkeit in der Weltwirklichkeit annimmt, der fördert nicht Glauben, sondern Religion: die Abhängigkeit des Denkens und Lebens von sichtbaren Göttern. Die „Wahrheit“ des Verhältnisses von Transzendenz und Immanenz hängt jedoch nicht an historischen Tatsachen. Was allerdings zweifellos an zahlreichen historischen Rahmenbedingungen und Tatsachen hängt, ist die Fähigkeit, das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz in einer bestimmten Weise zu interpretieren – also auch die Fähigkeit, das Wagnis des Glaubens einzugehen. Das ist das schlichte und ganz weltliche „Geheimnis“ der paulinischen Vorsehungs- und Erwählungslehre.
Konservativ gestimmte Christen beklagen gerne Eintrübung und Verlust der Wahrheit Gottes in der Geschichte des Abendlandes. Gemeint ist: Der sichtbare Gott des Christentums geht verloren. Die konservative Interpretation übersieht, dass der Verlust des christlichen Gottes Wirkung des Streits um Kreuz und Auferstehung, um das rechte Verständnis des Verhältnisses von Transzendenz und Immanenz ist. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wird nicht allein der christliche Gott, sondern alle sichtbaren Götter werden ohnmächtig und nichtig. (Pseudo-)paulinisch formuliert: Alle „Mächte und Gewalten“ werden „ihrer Macht entkleidet“ und „öffentlich zur Schau gestellt“ (Kol 2,15). Das ist kein Grund zur Klage, sondern ein Grund zur Dankbarkeit: Kreuz und Auferstehung wirken. „Es wird regiert“ (Karl Barth).
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