Das ist aber so, wie es gemeint ist, gar nicht möglich. Zum einen setzen Reformation und Aufklärung insbesondere im Sinne einer Säkularisierung der Politik das Christentum als Religion voraus. Keine säkulare Moderne ohne Christentum. Zum anderen ist es höchst zweifelhaft, ob das moderne Konzept der Säkularität dem islamischen Denken und Leben überhaupt angemessen sein kann. Dem Islam sind die christliche Annahme einer Gottesrealität in der Weltwirklichkeit und die Idee politischer Heilsannäherung fremd. Entsprechend fremd müssten ihm eigentlich auch das moderne Denken und dessen Politik sein, in denen die christliche Wirklichkeitsinterpretation in säkularisierter Fassung fortgeführt und exekutiert wird. Gerade hier liegt jedoch die Tragik des gegenwärtigen Islam in seiner Auseinandersetzung mit der Moderne – ganz egal, ob er sich als „Euro-Islam“ (Bassam Tibi), als „arabischer Frühling“ oder in seiner terroristischen Variante als „Islamischer Staat“ zu behaupten versucht: Er kleidet sich in moderne Gewänder und müht sich darum, die neue Mode entweder religiös zu rechtfertigen oder mit einer ganz eigenen religiösen Substanz auszufüllen. Tatsächlich aber geht er auf dem Wege der Modernisierung und Säkularisierung dem Christentum in die Falle.
Aus paulinischer Sicht ist diese Selbstentäußerung des Islam kaum wünschenswert. Der Islam kann heute vielmehr gerade dann neu hilfreich werden, wenn er sich der modernen Säkularität nicht unterwirft, sondern aus seinem eigenen theologischen Potenzial heraus einen Beitrag leistet zur Weiterentwicklung von Wirklichkeitsinterpretation und -gestaltung jenseits der Moderne. Damit dies möglich wird, muss er sich selbst allerdings einer harten Kur unterziehen:
(1) Notwendig ist eine radikale theologische Dekonstruktion der mit dem Islam gewachsenen, oft verborgen mitgeführten Repräsentationen des Göttlichen. Betroffen davon sind sicher vor allem der Koran und andere heilige Schriften. Hinzu kommen aber auch institutionelle und personelle Repräsentationen, die – anders als im Christentum – eher unbewusst als solche auftreten oder gelten.
(2) Notwendig ist überdies eine radikale theologische Entzauberung und Vergottlosung der Weltwirklichkeit, die weit über die in der Säkularität angenommene Weltlichkeit der Welt hinausreicht. Insbesondere auch alle ökonomischen und politischen Götter der Moderne sind theologisch als Nichtse zu enttarnen – zum Beispiel der Gott eines religiös eingerichteten Staates, der weltliche Heimat und weltliches Heil bieten soll.
Insgesamt muss es das erste theologische Ziel sein, die abrahamitisch-reservativen Kräfte des Islam neu zu entbinden. Inwiefern dabei im Islam selbst auch das paulinisch-messianische als ob nicht angelegt ist, ob also islamintern die Freiheit von der Weltwirklichkeit für die Weltwirklichkeit gewonnen werden kann, muss sich erst zeigen. Ich vermute jedoch, dass der theologische Weg dorthin nicht allzu weit sein wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen