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Dienstag, 7. Juni 2016

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Eine Theologie der Ungültigkeit füllt keine Bibliotheken. Sie lässt sich auf eine einzige Aussage reduzieren: Gott wird so geglaubt, dass in ihm die Welt als ungültig angenommen werden darf. Theologie der Ungültigkeit ist damit eine postsäkulare, aufgeklärte Behauptung jener alten Gewissheit, die sich bereits in der Hiob-Erzählung findet: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Hiob 19,25). Die Theologie dieser Gewissheit nenne ich reservativ. Reservativ nenne ich aber vor allem auch Denken und Handeln, Interpretation und Praxis, die sich dieser Theologie entnehmen.

Selbstverständlich ist die Weltwirklichkeit gültig, selbstverständlich sind Sein und Existenz nicht bloß Fiktionen oder virtuelle Simulationen. Unausgesetzt erweist sich die Weltwirklichkeit als mächtig, unausgesetzt und auf vielfältige Weise trägt sie ihre Geltungsansprüche an uns heran. Sie beansprucht uns durch unsere eigene Rationalität, durch unsere eigene Sinnlichkeit und durch unsere eigene Leiblichkeit. Sie beansprucht uns durch Rationalität, Sinnlichkeit und Leiblichkeit anderer Menschen. Sie beansprucht uns durch Geschehnisse und Erscheinungen überhaupt.
Nun fordert Theologie der Ungültigkeit nicht etwa dazu auf, die Gültigkeiten der Weltwirklichkeit zu ignorieren. Im Gegenteil. Struktur und Funktionsweise von Sein und Existenz (als Sünde) müssen aufmerksam und besonnen beobachtet werden. Soweit es uns möglich ist, müssen wir die Ursache-Wirkungs-Mechanismen der Weltwirklichkeit zu ermitteln und abzusehen versuchen.
Es gehört jedoch zur Eigentümlichkeit des Menschen als eines vernehmenden Wesens, als eines Wesens mit Bewusstsein, dass er nicht anders kann, als die Geltungsansprüche von Sein und Existenz irgendwie zu moderieren, sie zu interpretieren und sich entsprechend zu Verhalten. Die religiöse und metaphysische Tradition bietet repräsentative und repräsentationsfähige Wirklichkeitsentwürfe an, „große Erzählungen“ (François Lyotard) als Wahrheit und Norm, die Sinn und Ordnung stiften sollen im an sich chaotischen Strom der Geschehnisse, die dem Menschen dabei helfen sollen, sich im Chaos der Geltungsansprüche von Sein und Existenz interpretierend und praktisch zu orientieren.
Sinn und Ordnung großer Erzählungen sind repräsentativ zu entfalten in Denken und Handeln. Gültigkeiten, die unverfügbar sind, werden damit erklärbar. Gültigkeiten, die verfügbar sind, lassen sich einteilen: wahr oder unwahr, richtig oder falsch, vernünftig oder unvernünftig, gut oder böse. Entsprechend werden manche weltwirklichen Geltungsansprüche praktisch zurückgedrängt, andere werden hingenommen, wieder andere werden gefördert. Die großen Erzählungen von Religion und Metaphysik zielen immer auf Kultur, auf gemeinschaftliche Selbstverständlichkeiten, auf die Gleichschaltung von Interpretation und Praxis. Manche Erzählungen begnügen sich mit lokaler Reichweite, andere fordern Universalität und Globalität.
In einer Zeit, in der uns die großen Erzählungen abhanden kommen, in der uns Sinn- und Ordnungsstiftungen verloren gehen, in der alle Gültigkeiten gleich-gültig zu werden drohen und sich die Frage aufdrängt, wie wir als Einzelne und als Gemeinschaften die Geltungsansprüche von Sein und Existenz künftig noch (gemeinsam) moderieren können – in dieser Zeit entwirft eine Theologie der Ungültigkeit keine neue große Erzählung, die sich dann wieder in repräsentativen Wahrheiten und Normen, in kulturellen Selbstverständlichkeiten abbilden ließe. Theologie der Ungültigkeit erzählt lediglich von einer „Wahrheit“ und von einer „Norm“: von der Ungültigkeit aller Wahrheiten, von der Ungültigkeit aller Normen, von der Gleich-Ungültigkeit aller Gültigkeiten. Mit dieser schlichten schwachen Glaubenserzählung werden die Geltungsansprüche der Weltwirklichkeit nicht sinnvoll erklärt und nicht sinnvoll geordnet. Die Glaubenserzählung von der Ungültigkeit bringt uns lediglich auf maximale innere Distanz zu allen weltwirklichen Gültigkeiten, verschafft uns eine Unabhängigkeit von allen Gültigkeiten, die vielleicht sogar Freiheit genannt werden darf. Der Platz, den weltwirkliche Gültigkeiten unablässig und mächtig einzunehmen versuchen, wird glaubend entleert. Er wird reserviert und frei gehalten. Insbesondere wird er frei gehalten von allen Geltungsansprüchen, die als Götter oder Ideen auftreten und Herrschaft über alle anderen Gültigkeiten beanspruchen.

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