Eine Theologie der Ungültigkeit füllt keine Bibliotheken. Sie
lässt sich auf eine einzige Aussage reduzieren: Gott wird so geglaubt, dass in ihm
die Welt als ungültig angenommen werden darf. Theologie der Ungültigkeit ist damit
eine postsäkulare, aufgeklärte Behauptung jener alten Gewissheit, die sich bereits
in der Hiob-Erzählung findet: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Hiob
19,25). Die Theologie dieser Gewissheit nenne ich reservativ. Reservativ nenne
ich aber vor allem auch Denken und Handeln, Interpretation und Praxis, die sich
dieser Theologie entnehmen.
Nun fordert Theologie der Ungültigkeit nicht etwa dazu auf,
die Gültigkeiten der Weltwirklichkeit zu ignorieren. Im Gegenteil. Struktur und
Funktionsweise von Sein und Existenz (als Sünde) müssen aufmerksam und besonnen
beobachtet werden. Soweit es uns möglich ist, müssen wir die
Ursache-Wirkungs-Mechanismen der Weltwirklichkeit zu ermitteln und abzusehen versuchen.
Es gehört jedoch zur Eigentümlichkeit des Menschen als eines
vernehmenden Wesens, als eines Wesens mit Bewusstsein, dass er nicht anders
kann, als die Geltungsansprüche von Sein und Existenz irgendwie zu moderieren,
sie zu interpretieren und sich entsprechend zu Verhalten. Die religiöse und
metaphysische Tradition bietet repräsentative und repräsentationsfähige Wirklichkeitsentwürfe
an, „große Erzählungen“ (François Lyotard) als Wahrheit und Norm, die Sinn und
Ordnung stiften sollen im an sich chaotischen Strom der Geschehnisse, die dem
Menschen dabei helfen sollen, sich im Chaos der Geltungsansprüche von Sein und
Existenz interpretierend und praktisch zu orientieren.
Sinn und Ordnung großer Erzählungen sind repräsentativ zu
entfalten in Denken und Handeln. Gültigkeiten, die unverfügbar sind, werden damit
erklärbar. Gültigkeiten, die verfügbar sind, lassen sich einteilen: wahr oder
unwahr, richtig oder falsch, vernünftig oder unvernünftig, gut oder böse. Entsprechend
werden manche weltwirklichen Geltungsansprüche praktisch zurückgedrängt,
andere werden hingenommen, wieder andere werden gefördert. Die großen Erzählungen
von Religion und Metaphysik zielen immer auf Kultur, auf gemeinschaftliche
Selbstverständlichkeiten, auf die Gleichschaltung von Interpretation und
Praxis. Manche Erzählungen begnügen sich mit lokaler Reichweite, andere fordern
Universalität und Globalität.
In einer Zeit, in der uns die großen Erzählungen abhanden
kommen, in der uns Sinn- und Ordnungsstiftungen verloren gehen, in der alle
Gültigkeiten gleich-gültig zu werden drohen und sich die Frage aufdrängt, wie wir
als Einzelne und als Gemeinschaften die Geltungsansprüche von Sein und Existenz
künftig noch (gemeinsam) moderieren können – in dieser Zeit entwirft eine
Theologie der Ungültigkeit keine neue große Erzählung, die sich dann wieder in
repräsentativen Wahrheiten und Normen, in kulturellen Selbstverständlichkeiten abbilden ließe. Theologie der Ungültigkeit erzählt
lediglich von einer „Wahrheit“ und von einer „Norm“: von der Ungültigkeit aller
Wahrheiten, von der Ungültigkeit aller Normen, von der Gleich-Ungültigkeit
aller Gültigkeiten. Mit dieser schlichten schwachen Glaubenserzählung werden die
Geltungsansprüche der Weltwirklichkeit nicht sinnvoll erklärt und nicht sinnvoll
geordnet. Die Glaubenserzählung von der Ungültigkeit bringt uns lediglich auf
maximale innere Distanz zu allen weltwirklichen Gültigkeiten, verschafft uns eine Unabhängigkeit von allen Gültigkeiten, die vielleicht sogar Freiheit genannt
werden darf. Der Platz, den weltwirkliche Gültigkeiten unablässig und mächtig
einzunehmen versuchen, wird glaubend entleert. Er wird reserviert und frei
gehalten. Insbesondere wird er frei gehalten von allen Geltungsansprüchen, die
als Götter oder Ideen auftreten und Herrschaft über alle anderen Gültigkeiten
beanspruchen.
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