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Freitag, 10. Juni 2016

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Gestern Abend: Vortrag von Holm Tetens an der Hochschule für Philosophie in München. Thema: „Schöpfergott oder Lückenbüßer? – Zur kosmologischen Dimension der Rede von Gott“.

Ansprechende erkenntnistheoretische Sprachspiele. Ich setze mich derartigen Spielen gelegentlich recht gerne aus, obwohl sie mir fremd sind. Bei Licht betrachtet bietet Tetens allerdings nichts Neues. Sein Argument für einen Schöpfergott ist kaum etwas anders als das bekannte philosophische Postulat eines als ob Gottes zur Rechtfertigung des vermeintlich freien und mündigen Menschen der Moderne. Die Schöpfung soll in Tetens Perspektive darauf angelegt sein, dass es uns als freie und mündige Wesen gibt. Tetens fordert einen Gott, der will, dass wir frei und mündig sind. Dieses Postulat ist fast schon rührend (wenn es in praktischer Hinsicht nicht so gefährlich wäre), vor allem aber allzu deutsch. Das deutsche Denken tut sich erschreckend schwer, das Projekt der Moderne loszulassen.

Zwischenbemerkung: Dass die Evolutionsbiologie sich schon seit Jahrzehnten von der Annahme hat verabschieden müssen, unsere Spezies sei gewissermaßen unvermeidlich, und dass wir inzwischen wissen, dass unsere Spezies nicht von Dauer ist, hat zumindest gestern bei Tetens keine Rolle gespielt.

Der Titel des Vortrages hatte mich schon ahnen lassen, dass es nicht ohne Bonhoeffer abgehen würde. Und tatsächlich: Tetens setzt ein mit Bonhoeffers Verzicht auf die „Arbeitshypothese Gott“ und der Forderung nach einem Leben „etsi deus non daretur“, als ob es Gott nicht gäbe. Bonhoeffer bleibt für Tetens aber allein eine interessante Anregung. Argumentativ versucht er geradezu, Bonhoeffer mit Bonhoeffer zu bekämpfen (was er mehr oder weniger offen zugibt). Bonhoeffers Intention, interpretierend zu einem Gott vorzustoßen, den es nicht gibt, dabei die radikale Gottlosigkeit der Weltwirklichkeit aufzudecken und zugleich einen veränderten, religionslosen Glauben zu ermöglichen – diese Intention wird ignoriert, zumindest beiseite geschoben. Tetens fehlt ganz offensichtlich die notwendige existenzielle Sensibilität für die fundamentale theologische (und auch philosophische) Erschütterung, die sich in Bonhoeffers Gefängnisbriefen ereignet. Damit steht Tetens aber nicht allein. Die säkularisierten (deutschen) Philosophen sind theologisch weitgehend unsensibel geworden (ganz ähnlich, wie die säkularisierten Theologen selbst).

Nachbemerkung: Es geht ein belustigtes Raunen durch den Raum, als Tetens Bonhoeffers Denken mit Karl Barth verbindet, der die philosophische Rede von Gott, insbesondere die analogia entis, als „Erfindung des Antichristen“ verwirft. Für Barths Intuition wird man an einer Jesuiten-Hochschule kaum Verständnis erwarten dürfen. An dieser Intuition ist richtig (wenngleich die Formulierung missverständlich ist), dass es einen „unendlichen qualitativen Unterschied“ (Barth) gibt zwischen Weltwirklichkeit und Gotteswirklichkeit. An dieser Intuition ist falsch, dass der Gott der analogia entis antichristlich sei. Er ist ausgesprochen christlich (der Gott des Christentums ist ein Gott der Philosophie, und damit nicht antichristlich, sondern antimessianisch). Falsch ist auch, dass Barth annimmt, sein offenbarungspositivistisch gesetzter Gott und seine analogia fidei seien die christliche Alternative zur philosophischen Gotteslehre. Der offenbarte Gott Karl Barths ist der Gott der analogia entis – bloß nachkantisch reduziert auf eine als ob Behauptung. Diese als ob Behauptung ist wiederum ebenso antimessianisch, wie die Wirklichkeitsbehauptungen einer seinsanalogischen Rede von Gott.

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