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Donnerstag, 2. Juni 2016

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Inwiefern kann die Gotteswirklichkeit "Gott" genannt werden? Wie lässt sich "Gott" begreifen?

Paulus interessiert sich deutlich mehr für das messianische Ereignis, für Haltung und Praxis, die dem daran sich anschließenden Glauben entwachsen, als für Gott selbst. Gott ist für Paulus an keiner Stelle Gegenstand ausgedehnter Seins- oder Wesensspekulationen. Zweifellos kennt Paulus zahlreiche anthropomorphe Gottesvorstellungen auch aus seiner eigenen jüdischen Tradition, greift darauf aber kaum zurück. Gott ist für ihn der nicht Vernehmbare, der Unverfügbare, der Unaussprechliche, der ganz Andere, der Eine und Einzige. Jede Benamung oder Benennung Gottes, jede ihm zugeschriebene Eigenschaft führt leicht in die Irre. Die Personalisierung, insbesondere die Rationalisierung Gottes, die das frühe Christentum vornimmt, ist Paulus fremd.

Zwischenbemerkung: Dass Paulus in seiner Auseinandersetzung mit den epikureischen und stoischen Philosophen auf dem Areopag behauptet, er verkündige den von diesen unwissend verehrten "unbekannten Gott" (Apg 16,23), ist nicht (bloß) ein rhetorischer Kniff. Das ist durchaus ernst gemeint.

Der Ungültigkeitsglaube versteht Gott nicht als Person, nicht als etwas menschenanalog Fassbares, dessen Seinsweise sich irgendwie angeben ließe. Gott wird schon gar nicht als Trinität, als Einheit dreier Personen, als Einheit dreier Seinsweisen begriffen. Der im Christentum bis heute zentrale und wirkmächtige Begriff der Trinität (trinitas) ist eine Erfindung des fragwürdigen Juristen Tertullian, der zu Beginn des dritten Jahrhunderts christliches Denkens zu Latinisieren beginnt. Schon die ersten Zuhörer seiner Predigten in Karthago wissen mit der eigentümlichen Trinitätstheorie nichts anzufangen. Tertullian berichtet, sie hätten mit Entsetzen reagiert. Sie seien doch tatsächlich so unverständig davon auszugehen, drei bedeute etwas anderes als eins. Sie hätten angenommen, im Übertritt zum Christentum wäre ihr doch reichlich beliebiger Polytheismus der römischen Kultur monotheistisch überwunden. Nun aber werde ihnen vermeintlich eine Aufteilung der Einheit Gottes zugemutet.
Spätestens mit Tertullian (der sich ausdrücklich mit dem marcionitischen Denken auseinandersetzt und davon abzusetzen versucht) ist der ganz unpaulinische Streit um Seinsweise und Wesen Gottes im Christentum angestoßen. Christliche Motive treffen zunehmend auf römisch-religiös-politisches Denken. Gott und Christus werden damit zum Gegenstand widerstreitender Spekulationen und heftiger Auseinandersetzungen. Dass sich im abendländischen Christentum zuletzt das Trinitätsdogma durchsetzt, hat zum einen religiöse Gründe. Trinitarisches Denken bietet der inkarnatorischen Idee einer möglichen Heilsannäherung der Weltwirklichkeit den geeigneten theologischen Hintergrund. Zum anderen ist der Trinitätsgedanke politisch attraktiv. Er eignet sich hervorragend zur Begründung eines eindrucksvollen religiös-repräsentativen Herrschaftssystems.

Zwischenbemerkung: Erik Peterson hat die These von der Erledigung politischer Theologie durch das christliche Trinitäts-Dogma vertreten. Giorgio Agamben dagegen („Herrschaft und Herrlichkeit“) rekonstruiert die abendländisch-repräsentative Politik als strukturell trinitarisch. Dass Trinität als Politik möglich wird, hat sehr viel damit zu tun, dass gerade auch Tertullian die paulinische „Ökonomie des Geheimnisses“ Gottes (1 Kor 4,1; Eph 3,9) in ein (trinitarisches) „Geheimnis der Ökonomie“ Gottes verwandelt. Den Glaubenden wird damit die Verwaltung des Geheimnisses Gottes entzogen. Sie werden repräsentativen Verwaltern unterstellt, deren Macht und Gewalt, wie das Geheimnis der Ökonomie Gottes selbst, schlechtweg anzuerkennen ist.

Das, was später trinitarisch gewendet, dogmatisiert und religiös-politisch verwertet wird, ist bei Paulus selbst noch eine verhaltene, aber doch sehr bestimmte anthropomorphe Symbolik. Alle Versuche, die Gotteswirklichkeit zu benennen, dienen bei Paulus allein der Absicht, die Verlässlichkeit des Ungültigkeitsglaubens zu bekräftigen und den Glaubenden zu Ungültigkeitshaltung und -praxis zu ermutigen. Im Sinne dieser Absicht ist es durchaus auch heute noch dienlich (wenngleich nicht zwingend), die Gotteswirklichkeit „Gott“ zu nennen und „Gott“ durch wenige Benennungen als ob gewissermaßen zu konkretisieren. In Anlehnung an die in den paulinischen Briefen verwendete Symbolik würde ich Gott vorläufig so benennen:

Gott ist Vater. Damit soll gesagt sein: Gott ist einziges, ausschließliches und vom Menschen unterschiedenes Gegenüber. Diesem Gegenüber (und allein ihm) ist der Mensch total unterworfen, diesem Gegenüber (und allein ihm) darf der Mensch total vertrauen.
Anmerkung: Indem er unterschieden, unterworfen und anvertraut ist, ist der Mensch Gottes Kind. In diesem Sinne ist auch Jesus Gottes Sohn. In diesem Sinne versteht er sich als Gottes Sohn. In diesem Sinne ist Jesus unser Bruder. Und allein in diesem Sinne sind Menschen Geschwister: als dem Einen Unterworfene und Anvertraute.

Gott ist Überwinder und Herrscher. Damit soll gesagt sein: Gott darf als derjenige begriffen werden, in dem die mächtige Nichtigkeit der Weltwirklichkeit (als Todeswirklichkeit) aufgehoben und überwunden ist. Gott regiert aufhebend und überwindend. Seiner Herrschaft kann sich keine Macht der Weltwirklichkeit entziehen oder gar widersetzen.
Anmerkung: Insofern im messianischen Ereignis die Weltwirklichkeit als aufgehoben und überwunden demonstriert ist, kann Jesus Messias (nicht der historische Jesus) auch als Überwinder und Herrscher bezeichnet werden. Die christliche Uminterpretation des Messias ist jedoch so wirkmächtig, dass diese Bezeichnung eher gefährlich als dienlich ist.

Gott ist Geist. Damit soll gesagt sein: Gott ist ganz anders als der Mensch. Er ist nicht vernehmbar, er ist nicht wirklich. Gott wirkt in der Weltwirklichkeit als nicht wirklicher Geist. Er wirkt nicht sichtbar, sondern verborgenen und unberechenbar.
Anmerkung: Insofern der Glaubende die Weltwirklichkeit als aufgehoben und überwunden interpretiert, insofern diese Interpretation in eine bestimmte Haltung und in eine bestimmte Praxis mündet, „hat“ der Glaubende den „Geist“ Gottes. Er ist aus diesem Geist "geboren" (Joh 3,8). Den Geist „habend“ vernimmt der Glaubende Gott nicht wirklich. Er vernimmt ihn allenfalls mittelbar im Werden des Vergehens der Weltwirklichkeit (also auch in der Verungültigung seiner selbst).

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