Nietzsches Wille zur Macht ist Ausdruck der Verzweiflung, und der Machtwille wird umso verzweifelter, je deutlicher wir anzuschauen genötigt sind, dass die Weltwirklichkeit keine ewige Wiederkehr von Werden und Vergehen, sondern dass sie Werden des Vergehens ist (das sichere Ende der Weltwirklichkeit, zumindest unserer Spezies, können wir mittlerweile ja sogar berechnen). Im Angesicht des Werdens unseres Vergehens ist der Wille zur Macht davon bedroht, in einen hemmungslosen Hedonismus abzurutschen. „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ (1 Kor 15,32).
Eine Theologie der Ungültigkeit schließt sich Nietzsches Diagnose und seinem Rückzug auf einen unbedingten Willen an. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied, der Perspektive und Richtung des Willens radikal verändert: Indem der Ungültigkeitsglaube eine Gotteswirklichkeit annimmt, in der die Weltwirklichkeit schon jetzt als ungültig angeschaut werden darf, gebiert er keinen unbedingten „Willen zur Macht“, sondern einen unbedingten Willen zur Macht, einen unbedingten Willen zum als ob nicht aller weltwirklichen Mächte. Mit diesem Willen bemächtigen wir uns nicht mehr der Weltwirklichkeit. Wir wollen vielmehr unbedingt, dass sich die Weltwirklichkeit nicht mehr unserer bemächtigt. Wir wollen nicht mehr Sklaven unserer selbst, nicht mehr Sklaven anderer Menschen, nicht mehr Sklaven der Geschehnisse und Erscheinungen – kurz: wir wollen nicht mehr Sklaven der Sünde sein.
Der Wille zur Macht als Freiheit von den Mächten der Weltwirklichkeit ist nur vorstellbar als Ausdruck der Hoffnung. Ohne eine ihn begründende Theologie der Ungültigkeit ist er nicht möglich.
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