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Samstag, 28. Mai 2016

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Das nachchristliche Ungültigkeitsdenken überholt und radikalisiert das reformatorische Gnadendenken. Gnade im reformatorischen Sinne ist gratia aliena, eine der Natur des Menschen fremde Gnade, die ihm ohne Mitwirkungsmöglichkeit und ohne Verdienst zugeeignet wird. Wem es gegeben ist, den Sprung hinein in die Ungültigkeitsinterpretation zu wagen, der darf dieses Wagnis durchaus als nullitas aliena verstehen, als Selbst- und Wirklichkeitsverungültigung, die sich ihm ohne seine Mitwirkung und ohne sein Verdienst eröffnet.

Der Glaubende tut gut daran, dieses Verständnis zwar dankbar, aber demütig und vor allem schweigend zu bedenken (im Sinne der von Bonhoeffer angemahnten Wiederherstellung einer Arkandisziplin). Zu groß ist die Gefahr religiös-mystisch-magischer Missverständnisse. Nullitas aliena ist kein Einbruch des Göttlichen ins Weltliche, schon gar keine Vergöttlichung und Auszeichnung des Glaubenden. Sie ist eine durch Disposition, Kontext und Werden aufgebürdete Last, die nicht abgeworfen werden kann. Die Last, nicht anders zu können, als sich selbst und die Weltwirklichkeit prophetisch zu durchschauen. Die Last, nicht anders zu können, als alle weltwirklichen Gültigkeiten loszulassen. Die Last, nicht anders zu können, als für andere und die Weltwirklichkeit dienend da zu sein.

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