Es wäre nicht ganz falsch, hier von einer Naturzustandsüberlegung zu sprechen, wobei ich nicht, wie die Naturzustands- und Vertragstheoretiker, einen fiktiven prä-kulturellen Zustand der Menschheit an sich konstruieren und daraus dann Vorgaben insbesondere für die Kulturbildung ableiten möchte. Es geht mir um die mögliche Anschauung und Bezeichnung des einzelnen Bewusstseins in der Begegnung, denn es begegnet sich selbst, der Welt und den anderen immer der Einzelne. Es geht um die Frage, ob und wie das, was sich im einzelnen Bewusstsein in der Begegnung ereignet, gewissermaßen prä-kulturell vorgestellt werden kann. Und es geht dann vor allem um die Frage, ob das, was sich hier ereignet, notwendig in die Kulturbildung hineintreiben muss, in die Ausformung dessen, was Arnold Gehlen die zweite Natur nennt, in die Errichtung eines religiös oder metaphysisch möglichst breit unterfütterten, stabilisierenden und absichernden Lebensgehäuses. Oder ob gerade dies vielleicht das Falsche ist, das wir heute zwar nicht mehr loswerden, das wir heute unvermeidlich (auch in seinen mittlerweile verflüssigten Formen) handhaben müssen, von dem wir uns aber zumindest als Einzelne, vielleicht sogar als Rest Einzelner emanzipieren können. Und dann natürlich: Wie lässt sich diese Emanzipation, wie lässt sich richtiges Leben im Falschen vorstellen?
Nachbemerkung: Von den Naturzustands- und Vertragstheoretikern ist mir wohl Hobbes am nächsten. Bei ihm ereignet sich in der Begegnung des Einzelnen schlicht dies: Angst (wobei umstritten ist, ob hier nicht eine fragwürdige anthropologische Annahme – homo homini lupus – eingeschleust und begründungstheoretisch zu stark gemacht wird). Bei Hobbes dann die schlanke, religiös ganz dürftig unterfütterte und kulturtheoretisch regelrecht magere Antwort auf die Angst: Macht. Das ist alles.
Übrigens: Hobbes’ Theorie hat nicht, wie Kant annimmt, einen Fehler. Jedenfalls nicht den, den Kant annimmt. Indem Hobbes von der Unmittelbarkeit der Begegnung des und der Einzelnen ausgeht und diese Begegnung nicht a priori juridisch auflädt, vermeidet er gerade den Fehler, den Kant dann später nachholt.
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