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Sonntag, 26. April 2020

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Denken im eigentlichen Sinne ist Nichts-Denken, Denken des Nichts, Denken im Ab-Grund des Nichts (Nr. 544). Es ist das Mutige und Eindrückliche der Roaring Twenties des 20. Jahrhunderts, sich dem Schrecken des Nichts und damit dem Schrecken des eigentlichen Denkens noch einmal gestellt zu haben. An diesem Schrecken entzündet sich etwa die Theologie Karl Barths, vor allem aber auch die Philosophie Martin Heideggers (wobei hier Entzündung durchaus mehrsinnig begriffen werden darf).

Nun gehört es zu den fatalen Grundentscheidungen abendländischen Denkens, einerseits das Nichts und das Böse, andererseits das (höchste) Sein (Gott) und das Gute in eins gesetzt zu haben (Augustinus). Diese Grundentscheidung hat – je nach dem, wie sie ausinterpretiert wird – unzählige unheilvolle Konsequenzen. Besonders unheilvoll ist: Das Denken wird unausgesetzt weggetrieben vom Nichts, bleibt auf der Flucht vor dem Nichts, wird unausgesetzt angezogen vom Sein, sucht seine Zuflucht in einem Etwas, in einem wirklichen, so oder so habbaren Gott. Dieser Neigung verfallen, dieser Versuchung erliegen zuletzt auch Barth und Heidegger, jeder auf seine Weise und mit je unterschiedlichen Konsequenzen.

Dieser Versuchung des Nichts-Denkens dürfen wir nicht mehr nachgeben. Wir entkommen dieser Versuchung allerdings nur dann, wenn wir – und dies im eigentlichen Wortsinne – radikal umkehren, wenn wir die fatale Grundentscheidung abendländischen Denkens jesuanisch, paulinisch, messianisch umkehren: Das Nichts, das Nicht-Wirkliche, das Nicht-Sein ist das Gute (Gott). Das Sein aber, das Wirkliche, die Welt – das ist das Böse (Nicht-Gott). Diese (wohlgemerkt: nicht moralisch, sondern ontisch begriffene) Umkehrung würde alles umkehren: Gott wäre als Nichts begriffen, vor dem das Denken nicht mehr fliehen müsste, sondern in dem es Anhalt und Ruhe finden könnte. Durch das Nichts hindurch angeschaut wäre alles Sein endgültig als Nichtiges durchschaut, das uns nicht mehr in seinen Bann, in den Bann des vermeintlich Guten schlagen könnte. Zugleich wäre das Nichts als das Nichtende des Nichtigen begriffen, als die alles Sein, alles Weltwirkliche aufhebende und überwindende, verungültigende Gotteswirklichkeit.

Aus dieser Umkehrung heraus zu Denken und zu Leben – das wäre Denken und Leben im eigentlichen Sinne.

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