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Montag, 20. April 2020

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In den ersten Wochen des Jahres habe ich noch einmal ein wenig mit Nietzsche zu denken versucht, in den vergangenen Corona-Wochen lese ich vor allem Heidegger. Hier wie dort entdeckt sich mir wenig Neues, schon gar nichts Wegweisendes. Auseinandersetzungen wie diese helfen aber immer und immer neu bei der Konturierung des eigenen Denkens.

Eine erste Intuition bei der Heidegger-Lektüre: Wäre dieses Denken in Deutschland nicht aus den bekannten Gründen verbrannt, so könnte es künftig im Kontext einer kritischen Reflexion möglicher Schlüsse, die wir aus dem Corona-Ereignis ziehen wollen, durchaus eine Renaissance erleben.

Dann drei Absetzbewegungen. Zum einen: Sofern man Heideggers Philosophie als Versuch interpretiert, aus dem metaphysischen Zirkel auszubrechen, ihm zu entkommen, so ist dieser Versuch gescheitert. Unvermeidlich gescheitert. Metaphysik lässt sich nicht überwinden. Metaphysik lässt sich allenfalls entmachten.

Zum anderen: Im Kampf gegen die Metaphysik greift Heidegger zu einem Mittel, auf das ich selbst (durch Bonhoeffer inspiriert) auf meine Weise eine Weile Hoffnungen gesetzt (Nr. 154), von dem ich mich dann aber doch mit guten Gründen verabschiedet habe (Nr. 365, 419, 457). Heidegger greift zum Mittel der Neukonstruktion von Sprache. Er erfindet eine neue, vermeintlich nachmetaphysische Sprache, die selbst aber nicht anders kann, als im Schema ihres Feindes zu verharren, die ihren Feind in gewissem Sinne sogar neu ermächtigt. Nicht die Sprache selbst kann die Metaphysik entmachten, sondern allein die Interpretation von Wirklichkeit, die sich der Sprache bedient. Auf welche Sprache die Interpretation zurückgreift, ist letztlich unerheblich. Letztlich kann sie von jeder beliebigen Sprache Gebrauch machen.

Und schließlich: Es gibt zahlreiche Analogien zwischen Heideggers Kritik metaphysischer Selbstbefestigungen und meiner eigenen, reservativen Kritik der Metaphysik. Die beiden Kritiken führen jedoch in unterschiedliche Richtungen. Während Heidegger auf das zusteuert, was er Eigentlichkeit nennt, richtet sich reservative Kritik gerade auch gegen jedes Ideal des Selbst-Sein-Könnens, will die Entmachtung auch jeder Eigentlichkeit. Sie ist auf eine Entmachtung des Repräsentativen überhaupt aus. Sie will die entmachtende Handhabung sowohl der Metaphysik als auch der Eigentlichkeit eröffnen. So gesehen liegen zwischen Heideggers und reservativer Metaphysikkritik zuletzt Welten, Wirklichkeiten.

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