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Mittwoch, 8. April 2020

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Gestern hat Giorgio Agamben in der NZZ nachgelegt (hier der Text). Er skizziert vor allem zwei besorgte Beobachtungen. Zunächst: Das politische und gesellschaftliche Verhalten unter Bedingungen des Coronaereignisses lässt ahnen, wie verseucht die Bedingungen sein müssen, unter denen wir eigentlich leben. Corona als Ausnahmekrankheit deckt unser tatsächlich krankes Leben, die Unerträglichkeit unseres regulären, unseres geregelten Lebens auf.
Dann, im Anschluss an Elias Canetti: Die geradezu panische Bereitschaft der vermeintlich demokratischen Massen, unter der Coronabedrohung widerstandslos auf zentrale Freiheitsrechte zu verzichten und sich unverzüglich in die soziale Distanzierung zu flüchten – in ihr erweisen sich die gegenwärtigen Gesellschaften als (kommende) passive Massen, die, unmittelbar mit dem Tod konfrontiert, ängstlich nach dem einen Kopf Ausschau halten, der ihnen ihr Überleben sichern kann. Auf eine so sich äußernde Massenangst ums Überleben lässt sich jedoch „allein eine Tyrannei errichten, nur der monströse Leviathan mit seinem gezückten Schwert.“

Agambens Rationalität ist hier erneut zu eng. Aber gerade diese Verengung macht überdeutlich: Hobbes ante portas. Ein politisches Denken, das auf Angst gegründet ist: And hereupon it was my Mother Dear | Did bring forth Twins at once, both Me, and Fear. Und ein politisches Denken, das sich auf die bleibende, sozialpsychologische Einsicht des Leviathan stützen kann: Massen, die allein noch von ihrer Angst ums Überleben angetrieben und zusammengehalten werden, neigen dazu, allein noch einer absoluten und totalen Politik zuzutrauen, das Überleben tatsächlich gewährleisten zu können.

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