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Sonntag, 12. April 2020

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Wie dürftig und gefährlich doch die christlich überlieferte Hoffnung bei näherem Hinsehen ist. Karfreitag – auf die eine oder andere Erzählweise Ereignis und Ermöglichungsgrund einer moralischen Läuterung, eines moralischen Neubeginns. Ostern – auf die eine oder andere Erzählweise Ereignis und Ermöglichungsgrund einer heilenden Wirklichkeitstransformation: Das Gute ist im Werden, das Beste kommt zum Schluss. Diese Hoffnung ist dürftig, weil sie das Gehoffte immer ins Kommende verschiebt. Diese Hoffnung ist aber auch gefährlich, weil sie alles auf Moralisierung setzt und zugleich in einer unendlichen Fortschrittsdynamik gefangen setzt.

Erste Anmerkung: Weil die Verschiebung des Gehofften ins Kommende unerträglich ist, haben die verschiedenen Christentümer zahlreiche Mittel gefunden, ihres Gottes und damit des Gehofften schon jetzt irgendwie habhaft zu werden – je nach religiöser Bedürftigkeit angesiedelt irgendwo im Spektrum zwischen magischer (sakramentaler) Realpräsenz und schlichter (rationaler) Symbolik.

Zweite Anmerkung: Die jesuanische, paulinische, messianische Hoffnung ist im Unterschied zur christlichen paradox reich (ein nicht-repräsentativer Begriff für das, was ich sagen will, steht mir leider nicht zur Verfügung). Indem sie die Weltwirklichkeit schon im Hier und Jetzt als eine (fiktiv – nicht wirklich, glaubend – nicht schauend) aufgehobene und überwundene zu begreifen ermutigt, ist sie eine im Hier und Jetzt immer schon gegenwärtige, von der realen Habhaftigkeit des Gehofften völlig unabhängige Hoffnung. Zugleich befreit sie den Hoffenden zu einer angemessen und behutsamen, nicht moralisch verengten und nicht fortschrittsverpflichteten Handhabung des Weltwirklichen.

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