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Samstag, 4. April 2020

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Um die gestrige Andeutung noch ein wenig zu konkretisieren: Eine der momentan diskutierten Strategien zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist das sogenannte Cocooning, also der gezielte, im Übergang bis zur Bereitstellung eines Impfstoffes praktizierte Rückzug von identifizierten Risikogruppen aus dem öffentlichen Leben (bei gleichzeitiger Sicherstellung ihrer Versorgung und Betreuung). Damit ließen sich vermutlich mehrere Ziele gleichzeitig verwirklichen: eine baldige Rückkehr der Masse (und damit des politischen, rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Systems) in die Alltäglichkeit, eine möglichst rasche Herdenimmunisierung, eine Entlastung der Intensivkapazitäten sowie eine Senkung der Todesopferzahlen.
Cocooning wäre im Unterschied zu den bisherigen Maßnahmen eine deutlich differenziertere politische Strategie. Sie ließe sich sogar (etwa im europäischen Rahmen) noch einmal regional differenzieren. Damit wir allerdings gar nicht erst in Versuchung kämen, unter dem freundlichen Deckmantel des Cocoonings spätmoderne Leprosorien (Lager) einzurichten, müsste Cocooning das sein und bleiben, was es eigentlich sein soll: ein politisch empfohlener, aber dessen ungeachtet freiwilliger Akt. Das damit verbundene Risiko für alle müssten wir billigend in Kauf nehmen wollen. Ebenso natürlich den möglichen Tod von Infizierten und Erkrankten, die nicht zu den identifizierten Risikogruppen gehören.

Ob ein so verstandenes Cocooning unter Menschen möglich wäre, die zwischen zwei Unbedingtheiten aufgespannt sind – Repräsentation des Allgemeinen und Repräsentation des Selbst (Nr. 594): ich zweifle.

Nachtrag: Ein Freund beschwert sich zu Recht über die euphemisierende Tendenz des Begriffs Cocooning. Er assoziiere damit spontan das Lebensgefühl des Hygge. Was mit Cocooning gefordert und abverlangt ist, ist jedoch alles andere als hyggelig.

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