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Samstag, 9. Juli 2016

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Die säkulare Moderne nimmt den sichtbaren, den zwar transzendenten, durch Reflexion und Erfahrung jedoch zugänglichen Gott endgültig aus dem politischen Spiel. An seine Stelle treten Mensch und Menschliches als neue sichtbare Götter, als vermeintlich sichere Gründe und als vermeintlich sichere Verheißungen des Politischen.

Die Reformation hatte durch ihre Unterscheidung von sichtbarem Gott der Ordnung und eigentlichem Gott der Gnade noch zur politischen Demut gemahnt, hatte das Politische massiv entzaubert. Das Politische ist nicht das Eigentliche. Es ist nicht Raum und Ordnung des Heils, es ist vorläufige und endliche Einhegung des Unheils.
In der Moderne wird nun die alte christliche Vernunft-Illusion säkular reanimiert. Das vorreformatorische Vernunft-Christentum steht in seiner Fusion jüdischer, hellenischer und römischer Traditionen für einen rekonstruktiven innerweltlichen Vernunft-Messianismus. Die nachreformatorische Vernunft-Religion der Moderne erneuert diesen Messianismus, allerdings in einer autonom-konstruktiven, ausschließlich auf säkularen Gründen ruhenden und ausschließlich mit säkularen Verheißungen aufgeladenen Variante. Damit geht zugleich jeder eschatologische Vorbehalt, der dem vorreformatorischen Vernunft-Christentum noch innewohnt, restlos verloren.
Tragisch ist, dass sich das evangelische, insbesondere das deutsche und hier insbesondere das lutherische Christentum ganz in die nachreformatorische Vernunft-Religion einfunktionalisieren lässt. Als Kulturprotestantismus übernimmt es die Aufgabe, den sozialen und moralischen, insgesamt den kulturellen Boden dafür zu bereiten, dass das säkular-religiöse politische Projekt der Moderne gelingen kann. Dabei wird der Protestantismus wesentliche Mitursache der „Politischen Religionen“ (Eric Voegelin) des 20. Jahrhunderts, in denen das politische Projekt der Moderne zunächst eskaliert und zu scheitern droht.

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