Jürgen Habermas hat kurz nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 den Begriff der „postsäkularen Gesellschaft“ in den Diskurs eingebracht. Damit diagnostiziert er zunächst eine Wirklichkeitsentwicklung, die einer Wirklichkeitsinterpretation ohne „Säkularismus-Idiom“ (Ulrich Beck) als Banalität erscheinen muss: Der Säkularität ist es nicht gelungen, die Religion als Phänomen zu überwinden. Religion beansprucht nach wie vor politische und gesellschaftliche Relevanz. Diese Relevanz will Habermas zähmen und kanalisieren, nutzbar und fruchtbar machen. Er hält das säkulare politische Projekt der Moderne nach wie vor für ausreichend begründet und legitimiert. Allerdings ist dieses Projekt offenbar aus sich selbst heraus nicht in der Lage, in Menschen und Gesellschaften jene motivationalen Energien der Solidarität und Moralität freizusetzen, deren es um seines dauerhaften Bestandes willen bedarf. Hier soll nun – ganz im Sinne der modernen Moralisierung und Funktionalisierung des Religiösen – die Religion in die Bresche springen. Religion soll Menschen und Gesellschaften geben, was säkulare Politik ihnen nicht geben kann (darf) – allerdings allein das, was innerhalb des säkular gesetzten Rahmens verbleibt, was diesen Rahmen nicht gefährdet oder gar sprengt, sondern was diesen Rahmen vielmehr stützt und fördert.
So verstanden halte ich den Begriff der Postsäkularität für problematisch. Er überschätzt nach wie vor das Begründungs- und Stabilisierungspotenzial der Säkularität, zugleich unterschätzt er das existenzergreifende Potenzial der Religion. Postsäkularität, wie sie Habermas vorstellt, kann damit selbst zu einer Gefahr werden für die Aufklärung als Entzauberung der Weltwirklichkeit. Religionen – insbesondere die christliche – wittern allzu rasch Morgenluft (die christlich-theologischen Diskussionen rund um den Begriff der Postsäkularität legen davon ein beredtes Zeugnis ab). Und allzu gern ergreifen sie, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht, gleich die ganze Hand. Der Gedanke der Postsäkularität, die Vorstellung eines postsäkularen Zeitalters wird dann gefährlich, wenn darin jenseits der Säkularität die Wiederverzauberung der Weltwirklichkeit vorbereitet ist.
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