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Mittwoch, 20. Juli 2016

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Nachtrag zu 138: „Wir sollen Menschen und nicht Gott sein“ (Luther). Das ist richtig, kann aber zugleich in die Irre führen. Richtig ist: Luther zerreißt mit diesem Satz das in der christlichen Tradition geknüpfte seinsanalogische Band zwischen Gott und Mensch. Gott ist Gott, Mensch ist Mensch.

In die Irre führt Luthers Bruch mit der Tradition dann, wenn daraus die Selbstvergültigung des Menschen generiert wird, wenn der Mensch sich in seinem Sosein, in seinem So-gültig-sein in dem Sinne gerechtfertigt sieht, dass er sich als vergültigt begreifen darf. Dann wird Gott als der ganz Andere irrelevant, Mensch und Menschliches werden zum Gott.
Rechtfertigung im reformatorischen Sinne meint dagegen: Der Mensch darf (muss) sich als begnadigter Mensch interpretieren – so, als ob er als Existierender in seiner Gültigkeit aufgehoben und überwunden, als ob er ungültig wäre. Diese Rechtfertigung als Zuspruch ist dann unmittelbar praktisch im Anspruch der Reservation. Reservation meint praktische Verungültigung als ob nicht.
Selbstverständlich gilt für diesen Anspruch Luthers „pecca fortiter, sed fortius fide“: Sündige tapfer, glaube aber umso tapferer. Das meint: Was auch immer wir denken, was auch immer wir tun, wo auch immer wir den Befehlen von Sein und Existenz unterliegen und folgen – nichts kann uns aus dem Stand der Rechtfertigung, des als ob nicht herausreißen. Aber: Wenn wir den Befehlen der Natur, unserer Natur (Rationalität, Sinnlichkeit, Leiblichkeit) Folge leisten, dann kann uns das in der Weltwirklichkeit aus dem Stand des Rufs herausreißen. Das hat ausschließlich weltwirkliche Wirkungen. Allerdings können diese Wirkungen durchaus fatal sein.

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