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Dienstag, 12. Juli 2016

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Nach den Wendejahren 1945 und 1989 setzt sich das politische Projekt der Moderne in einer durch die Wirklichkeitsentwicklung weiter aufgeklärten Fassung zunehmend durch. Der säkulare Rechtsstaat und die liberal-demokratische Regierungstechnik werden zum globalen politischen Ideal.

Zugleich wird dieses Ideal jedoch massiv befragt: Die postmoderne Kritik der Moderne hält die vermeintlich so sicheren rationalen Gründe und Verheißungen moderner Politik für zweifelhaft, ja sogar für gefährlich. Die gesellschaftliche Realität, die sich unter säkular-rechtsstaatlichen und liberal-demokratischen Bedingungen herausbildet, scheint als Voraussetzung gelingender moderner Politik nicht mehr ausreichend stabil. Sozialität und Moralität werden brüchig, zumindest pluralisieren und zerstücken sie sich so deutlich, dass Gemeinsamkeiten, irgendwelche halbwegs trag- und bindungsfähigen Substanzen abseits ökonomischer Interessen kaum noch auszumachen sind.
Vor diesem Hintergrund kehrt in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht zuletzt die Religion in die öffentlichen Diskurse zurück. Die erneuerte Aufmerksamkeit für Religion gerade auch im politischen Denken ist Ausdruck der Suche nach dem, was in der Moderne verloren geht – nach integrativen Wirklichkeitsinterpretationen, in denen politische Gemeinschaften zusammenfinden und sich zusammenbinden können. Offenbar ist das, was die Politik der Moderne den durch sie vereinigten Gemeinschaften zu bieten hat, doch zu formal, zu mager. Und offenbar gehen unter den Bedingungen des modernen politischen Projekts auch jene Instanzen oder Institutionen verloren, die dem – wenn man so will – natürlichen Mangel dieses Projektes abhelfen, die die substanzielle Leerstelle, die dieses Projekt um seiner selbst willen aufreißen muss, ausfüllen könnten.

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