Jede Erzählung kann auch anders erzählt werden. Jede
Erzählung zeitigt auch Folgen, die dem Erzähler, hätte er sie gekannt oder
zumindest geahnt, wohl frühzeitig den Mund verschlossen hätten.
Neulich in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eine
erschütternde Beobachtung: Pippi Langstrumpf ist schuld! Pippi – nicht
leuchtendes Symbol der guten Möglichkeiten freiheitlicher Existenz. Sondern: Pippi –
eine vielfach privilegierte egozentrische Göre, die mit der ihr eigenen
Ignoranz und mit den ihr eigentümlichen Machtmitteln aus der etablierten
bürgerlichen Mechanik und Moralität ausbricht, um sich die Weltwirklichkeit
nach ihren eigenen Vorstellungen und zu ihrem eigenen Vorteil zurechtzubasteln. Pippi – der Archetypus also ausgerechnet für
Erscheinungen wie Donald Trump. Pippi – mitverantwortlich für bürgerliche Gesellschaften,
die sich im Getriebe rechtsstaatlich-demokratischer Verfahren nach personaler
affektiver Machtpolitik sehnen und so allererst den Boden bereiten für
Erscheinungen wie Trump. Hätte Astrid Lindgren das vorhergesehen! Das Vorbild
ihrer Erzählung wäre wohl eher Annika geworden. Und eben nicht Pippi.
Man mag von der humorvollen Umerzählung und Diagnostik der Frankfurter
Allgemeinen halten was man will. Richtig ist: Man muss sich gut
überlegen, welche Erzählung man in die Welt setzt und ob man sie überhaupt in
die Welt setzt. Über mancher Erzählung muss Arkandisziplin (Bonhoeffer) gewahrt
werden. Jesus hat der Öffentlichkeit das Messiasgeheimnis wohl nicht ohne Grund
bis zuletzt vorenthalten. Vielleicht hat er geahnt, dass das Messiasgeheimnis auch so etwas wie das
Christentum als Möglichkeit in sich birgt – als ungewollte aber auch merkwürdig
unvermeidliche Neben- oder Langzeitwirkung.
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