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Samstag, 14. März 2020

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Ernst-Wolfgang Böckenförde hat den modernen Rechtsstaat bekanntlich als gewagtes Experiment begriffen: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist“. In einem meiner früheren Texte habe ich aus verschiedenen Gründen die Annahme formuliert, Böckenfördes Diktum müsse neu gefasst werden: Der freiheitliche säkulare Rechtsstaat vernichtet die Voraussetzungen, von denen er lebt und deren Wirklichkeit er zu ermöglichen vorgibt.
Das scheint sich mir gegenwärtig zu bestätigen. Die gesellschaftliche, politische, ökonomische Wirklichkeit, in der wir leben, hat sich ihrer Voraussetzungen längst entledigt. Wenn nun die Kulturmaschine, der wir inzwischen dienen, in die Krise gerät, wenn sie auseinanderzufliegen droht, dann sind wir vollständig ins Leere geworfen. Wir haben keine Rückfallposition mehr, wir haben nichts mehr, worauf wir uns zurückziehen könnten. Weder die Einzelnen noch die Vielen.

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