Inzwischen in zahlreichen Portalen hinterlegt und vielfach geteilt wird etwa eine kleine Erzählung des Zukunftsforschers (was auch immer das sein mag) Matthias Horx. Er erprobt den zukünftigen Blick zurück und bezeichnet die gegenwärtige Krise als historischen Moment. Wir werden uns wundern, so nimmt er an, wie viele neue Möglichkeitsräume uns Corona eröffnet haben wird: neue Räume der Wertschätzung, der Nähe, der Höflichkeit, der Kommunikation. An die Stelle des Technikglaubens wird eine neue Menschlichkeit getreten sein. Horx wertet Corona als eine Art Evolutionsbeschleuniger: der Kollaps als Potenzial. Wir werden uns durch die Krise hindurch weiter, höher entwickeln. „Könnte es sein“, so Horx, „dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte?“ Das Leben, die Natur, die Wirklichkeit – in hoffnungsfrohen Narrativen, wie sie uns von Horx und anderen Zeichendeutern gerade erzählt werden, treten sie in guter mythischer Tradition wieder als personalisierte Größen auf, die es letztlich gut mit uns meinen, die uns zu neuer Aufmerksamkeit zwingen und uns, einer neuen Harmonie entgegen, zu sich empor führen.
Abgesehen davon, dass ich die Kosmologien, von denen derartige Erzählungen getragen werden, für überkommen und durchaus für gefährlich halte: Alle jetzt, alle im Angesicht des Corona-Ereignisses formulierten Vorstellungen vom möglichen Anbruch einer neuen Zeit hüpfen zu schnell und zu kurz. Die vorausgesetzten Annahmen über den Gang von Menschen und Menschenmassen sind fragwürdig, illusionsgesättigt, ebenso die Vorstellung, Kulturen könnten sich spontan wenden, seien geradezu zu Sprüngen fähig. Und was grundsätzlich allen Hoffnungserzählungen gemeinsam zu sein scheint: Sie bleiben gefangen im modernen Fortschrittsoptimismus (christlicher Herkunft). Eigentlich, so die Grundidee, können wir so weitermachen wie bisher, eben nur ein bisschen anders, ein bisschen reflektierter, bewusster, zurückhaltender, entschleunigter. Das aber ist gerade jener zukunftsfixierte Idealismus, das ist das Existenzschema, das unsere Kultur an den traurigen Ort geführt hat, an dem wir inzwischen angekommen sind.
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