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Mittwoch, 28. März 2018

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Das Alter nötigt zur Emanzipation von den Verheißungen der Natur. Der nüchterne Blick ins Angesicht des Todes offenbart deren nichtiges Wesen. Im emanzipierten Gebrauch der nichtigen Natur und ihrer Verheißungen wird man demütig, mündig, erwachsen.

Demgegenüber leidet unsere Gegenwart an einer Art Pädophilie, an einer pathologisch-triebhaften Fixierung auf Kindlichkeit. Unsere Gegenwart weicht dem Blick ins Angesicht des Todes panisch aus, flieht in die Illusionen kindlicher Unaufgeklärtheit, in die naive und totale Hingabe an die Verheißungen der Natur. Unter dem Befehl dieser Verheißungen werden Menschen übermütig, unmündig, infantil.
Die Pädophilie unserer Gegenwart ist paradoxe Wirkung unserer Kultur. Kulturell sind wir darum bemüht, uns rechtlich, ökonomisch, technisch gegen die Natur zu behaupten, uns von ihr zu emanzipieren, den Menschen in Schutz zu nehmen vor den Launen der Natur, möglichst allen Menschen ein gleichermaßen menschenwürdiges und menschenrechtes Leben zu verschaffen, zumindest die Rahmenbedingungen für dieses Leben herzustellen.
Unsere kulturellen Bemühungen nennen wir Fortschritt. Wirkung dieses Fortschritts ist die Verdrängung der Präsenz des Leidens, die Verdrängung des Todes aus der wahrgenommenen Wirklichkeit, die Verdrängung jenes Bewusstseins, dessen wir notwendig bedürfen, wenn wir der Natur und ihren nichtigen Verheißungen nicht verfallen wollen. So angenehm unser kultureller Fortschritt erscheinen mag – er bringt zuletzt nicht Menschen hervor, die die Natur emanzipiert und erwachsen zu gebrauchen vermögen. Er produziert zuletzt Sklaven der Natur. Er produziert unmündige Massen.

Mündigkeit wächst nie unter Kulturbedingungen. Mutterboden der Mündigkeit ist eine entsicherte, nomadische Existenz. Unter Bedingungen der Weltwirklichkeit kann allein der mündig werden, der sich als Fremdling begreift.

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