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Mittwoch, 21. März 2018

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Die paulinische Verortung der Figur des Messias zwischen Leiden und Trost (2 Kor 1,3–7) ist durchaus irritierend. „Denn wie die Leiden des Messias reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch den Messias“ (2 Kor 1,5).

Messianisches Leiden ist ein Leiden aus Interpretation, aus Glauben. Der messianisch Leidende leidet an der Weltwirklichkeit, genauer: an einer bestimmten Interpretation der Weltwirklichkeit. Er glaubt die kausale Weltwirklichkeit als (ob) ungültig, erfährt diese Wirklichkeit aber tatsächlich als gültig. Er erfährt sich als existenziell hineingerissen in die Wirklichkeit der Kausalitäten, kann diesen wirklich nicht entkommen. Der messianisch Leidende leidet an seiner existenziellen Gefangenschaft in der wirklichen Wirklichkeit, und er leidet reichlich. Er leidet, weil er nicht wirklich sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen kann, was er glaubt. Zugleich ist ihm sein messianischer Glaube jedoch Trost im Leiden, reichlicher Trost. Glaubend erinnert sich der messianisch Glaubende in seiner existenziellen Gefangenschaft unausgesetzt an deren Ungültigkeit. Er glaubt sich heraus aus der existenziellen Bedrängnis durch die Weltwirklichkeit, findet in den Kausalitäten der Weltwirklichkeit glaubend Ruhe vor den Kausalitäten der Weltwirklichkeit.

Die Figur des Messias, die Interpretation der Weltwirklichkeit durch die Figur des Messias hindurch stiftet beides: Leiden und Trost, Trost und Leiden. Beides zugleich, in einem nicht aufzuhebenden dialektischen Gegenüber. Von außen betrachtet scheint die Frage nicht unbegründet, ob es sich ohne Messias nicht leichter, entspannter leben ließe (siehe auch Nr. 179).

Nachbemerkung: Der paulinische Messias stellt sicher, dass man nie trostlos leidet. Er stellt aber auch sicher, dass man sich nie leidlos trösten kann. In wirklichem, kausalem Leid ist der messianische Trost hoch willkommen. Aber wer will sich schon jeden wirklichen, jeden kausalen Trost messianisch verleiden lassen?

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