„Wen Gott heilt, den verletzt er zuvor. Wen Gott aufrichtet, den stürzt er zu Boden. Wen Gott erweckt, den lässt er vorher sterben. Tief reißt er den Boden auf, wenn er seine Saat in unser Leben wirft. Er zersprengt die Fundamente, auf die wir unser Haus bauten, wenn er uns zu seinem Tempel macht. Ehe wir lachen können, lässt er uns bitter weinen. Männer verlieren ihre Kraft, damit er sie gebrauchen kann. Wenn es Morgen werden soll, müssen wir vorher durch die Nacht. In unserem Dunkel lässt er sein Licht aufleuchten. Gott arbeitet gründlich, fängt tief unten in uns an, wenn er uns verwandelt. Ach, Herr, du gehst hart mit mir um, tust mir weh. Doch ich danke dir.“
Dazu ein erster Gedanke: Der schmerzhafte Läuterungsprozess, der hier in Anlehnung an biblisch-prophetische Erfahrungen beschrieben wird, meint nicht die griechische kátharsis, ist keine Reinigung zum Zwecke der Rationalisierung menschlicher Existenz. Gemeint ist eine ontologisch-existenziale Läuterung, die uns aller weltwirklichen Fundamente beraubt.
Ein zweiter Gedanke: Die biblisch-prophetische Läuterung mündet in der Weltwirklichkeit nicht in einen Zustand der Vollkommenheit, in ein beruhigtes, befriedetes, glückseliges Leben. Diese Läuterung ist Vorbereitung, Zurüstung. Vorbereitet und zugerüstet wird nicht etwa für den Frieden, sondern für den Krieg. Für den Krieg mit Sein und Existenz. Und dieser Krieg wird auf der letzten Strecke des Lebens nicht leichter. Auf der Zielgeraden, wenn die Reserven ins Gefecht geworfen werden, ist der Kampf am härtesten.
Ein dritter Gedanke: Wir dürfen uns von den strengen Religiösen und den konsequenten Moralisten, von denen, die sich selbst oder die wir Fundamentalisten nennen, von denen, die es besonders ernst zu meinen scheinen mit ihrem religiösen und moralischen Kampf, nicht täuschen lassen. Fundamentalisten kämpfen, ganz im Sinne einer kátharsis, mit weltwirklichen (gesetzlichen) Mitteln für die Reinigung der Welt. In diesem Kampf lassen sich Fortschritte erzielen. In diesem Kampf kann man sich als tugendhaft, als vorbildlich, als charakterlich gefestigt erweisen. Aus biblisch-prophetischer Perspektive ist dieser Kampf jedoch nichts anderes als eine Kapitulation vor der Welt, eine bequeme Übereinkunft mit der Welt. Vom existenzial-ontologischen Ringen des Glaubens mit der Welt haben religiöse und moralische Fundamentalisten keinen Begriff. Diese Erfahrung ist ihnen fremd, dieser Erfahrung weichen sie, religiös und moralisch kämpfend, fortwährend aus.
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