Wer dieses Gut handelnd repräsentiert, dessen Handeln antwortet streng genommen nicht auf das, was hier und jetzt ist, sondern auf das, was hier und jetzt (noch) nicht ist. Zugespitzt formuliert: Ethische Praxis im repräsentativen Sinne kann dem Hier und Jetzt gar nicht gerecht werden. Repräsentative ethische Praxis ist unvermeidlich unverantwortlich.
Reservative Ethik dagegen verfolgt kein im Weltwirklichen zu realisierendes Gut, ist insofern auch, im Unterschied zu repräsentativer Ethik, nicht transformative Ethik. Der reservativ Handelnde kann sich ganz, ohne transformatorischen Vorbehalt, ohne weltwirklichen Zweck auf das Hier und Jetzt sich Stellende, auf das Gegebene, auf die Situation einlassen. Er lässt sich allerdings so auf das Hier und Jetzt ein, wie er es glaubend als ob nicht annimmt: als aufgehoben und überwunden, als ungültig. Damit ist das Hier und Jetzt einerseits unendlich relativiert und entspannt, andererseits aber zugleich in seiner relativen und entspannten Relevanz, in seiner unmittelbaren Antwortbedürftigkeit an- und ernstgenommen. Man könnte zugespitzt formulieren: Allein reservative Praxis ist verantwortliche Praxis.
Anmerkung: Es spricht vieles dagegen, unter reservativen Bedingungen überhaupt noch von Ethik zu reden. Ethik als Begriff ist ein mit repräsentativen Assoziationen geradezu vollgestopftes Arsenal. Eine befriedigende Alternative für diesen Begriff habe ich jedoch noch nicht gefunden.
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