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Mittwoch, 26. April 2017

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Gestern hat sich für mich ein beruflicher Weg verschlossen, den ich gerne gegangen wäre. Da ist also ein starker weltwirklicher Wunsch nicht in Erfüllung gegangen, die (durchaus gut begründete) Erwartung einer kommenden Weltwirklichkeit für mich ist enttäuscht worden.

In Momenten, in denen wir uns von natürlichen inneren Bindungen an etwas weltwirklich Kommendes lösen müssen, weil die weltwirklichen Kausalitäten, die sich unserem Einfluss weitgehend entziehen, das Erwartete an uns vorbeitreiben, ist der reservative Glaube besonders herausgefordert – vor allem dann, wenn dieser Glaube aus der Entzauberung eines religiösen Glaubens gewachsen ist, in dem enttäuschte weltwirkliche Erwartungen entweder die Frage nach einer möglichen Rechtfertigungen Gottes (Theodizee) oder die Frage nach einer möglichen Strafe für eigene Verfehlungen, gar die Frage nach der eigenen Unwürdigkeit aufwerfen.
Gerade in Momenten der Verzweiflung am Weltwirklichen und seinen Kausalitäten muss der reservative Glaube allen religiösen, metaphysischen und säkularen Versuchungen sein unwiderstehliches Veto entgegen halten: Die weltwirklichen Kausalitäten stehen in keinem (positive oder negative Gültigkeiten stiftenden) Kausalitätsverhältnis zur ganz anderen Gotteswirklichkeit. Vielmehr darf jeder beliebige weltwirkliche Zustand, jeder vergangene, jeder gegenwärtige und jeder kommende Punkt, Ort oder Raum im großen Strom der Kausalitäten im Lichte der ganz anderen Gotteswirklichkeit als aufgehoben und überwunden, als ungültig (als ob nicht) angeschaut werden – also auch alles, was man gerne als weltwirklich Kommendes empfangen hätte. Dieses Veto des reservativen Glaubens befreit immer wieder aufs Neue zur Antwort auf das Hier und Jetzt, zur Verantwortung für das jeweils Präsente – unabhängig von dem, was war und was kommt.

Anmerkung 1: Selbstverständlich gibt es dessen ungeachtet einen unreflektierten, unaufgeklärten, ungeschickten oder auch rücksichtslosen Gebrauch weltwirklicher Kausalität, dessen Wirkungen und Folgen man unter Umständen zu tragen, manchmal auch zu ertragen hat.

Anmerkung 2: Reservativer Glaube zwingt nicht zur Abstinenz, zum Rückzug aus dem Gebrauch von Kausalität und zu weitgehender Erwartungslosigkeit. Angesichts der minimalen Gestaltungsmacht menschlichen Kausalitätsgebrauchs, dessen Wirkungen und Folgen zuletzt ohnehin unberechenbar und unbeherrschbar sind, bietet dieser Glaube (lediglich) ein hohes Maß an Unabhängigkeit von allem Erwarteten und Unerwarteten. Und dieser Glaube befreit von der in allen enttäuschten Erwartungen angelegten Nötigung, den jeweils eigenen (religiösen, metaphysischen oder säkularen) Gott zu entlasten (oder zu verklagen) und den unerwarteten, unerwünschten Kausalitätsverlauf als Strafe oder gar als Entwertung zu begreifen.

Anmerkung 3: Gebrauche jede enttäuschte weltwirkliche Erwartung so, dass sie Dir selbst zum Wachstum in der reservativen Freiheit dient.

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