Repräsentative Rationalität der Herrschaft, der Transformation und des Glücks – das ist die teuflische Versuchung in der Wüste des Realen (Mt 4,1-10). Auch und vor allem das Christentum ist mit seiner Rationalität dieser Versuchung erlegen.
Freitag, 30. September 2016
163
Zu Nr. 146 (Kommentar): Der Gedanke einer Überholung und Transformation von Sein und Existenz durch die Kraft der Annahme eines als ob des Kommenden, durch die Vorwegnahme eines Kommenden in einem verlockenden als ob – ein gutes Beispiel für einen repräsentativen Zugriff auf die Weltwirklichkeit. Das ist auch der christliche Zugriff, hier mit einem Schuss Mystik.
Donnerstag, 29. September 2016
162
Reservatives Leben ist, aus repräsentativer Perspektive, grundlos, nicht-rational und unberechenbar. Das könnte den Verdacht aufkommen lassen, dieses Leben sei unstet und rastlos, reservativ Lebende seien Getriebene, unausgesetzt bedrängt von der Forderung, unausgesetzt grundlos entscheiden zu müssen.
161
Reservatives Leben ist nicht asketisches Leben, es ist aber auch nicht tugendhaftes Leben. Tugend ist der Versuch, zwischen möglichen Extremen weltwirklicher Gültigkeiten, insbesondere Triebgültigkeiten, mäßigend zu vermitteln. Tugend ist selbstdisziplinierende Gewöhnung daran, im Getriebe der Gültigkeiten Maß zu halten (verbunden mit der Hoffnung, dadurch zu einem gelingenden Leben in Gemeinschaft wesentlich beizutragen).
Reservatives Leben hält sich dagegen auch unabhängig von der Rationalität der Tugend, von den Tugendgültigkeiten der Mitte und des Maßes. Es gebraucht die Mitte gerade so, wie die Extreme. Es gebraucht die Tapferkeit gerade so, wie Feigheit und Übermut. Keine Gültigkeit ist grundsätzlich ausgeschlossen, keine Gültigkeit genießt einen Vorzug. Welche Gültigkeit im Hier und Jetzt reservativ zu gebrauchen ist, muss im Hier und Jetzt reservativ entschieden werden.
Reservatives Leben hält sich dagegen auch unabhängig von der Rationalität der Tugend, von den Tugendgültigkeiten der Mitte und des Maßes. Es gebraucht die Mitte gerade so, wie die Extreme. Es gebraucht die Tapferkeit gerade so, wie Feigheit und Übermut. Keine Gültigkeit ist grundsätzlich ausgeschlossen, keine Gültigkeit genießt einen Vorzug. Welche Gültigkeit im Hier und Jetzt reservativ zu gebrauchen ist, muss im Hier und Jetzt reservativ entschieden werden.
Mittwoch, 28. September 2016
160
Repräsentatives Leben ist immer Funktion irgendeiner Rationalität zur Herstellung irgendeiner Identität, einer Identität von Existenz oder gar Sein mit irgendeiner Vorgabe oder mit irgendeinem Vorhaben.
Dienstag, 27. September 2016
159
In einem groben Zugriff lassen sich grundsätzlich zwei Typen repräsentativer (politischer) Sprache unterscheiden. Sprache repräsentiert entweder einen Ursprung, ist also ein rekonstruktives Symbolsystem des Gewordenen, der Herkunft, oder aber sie repräsentiert ein Ziel, ist also ein konstruktives Symbolsystem des Kommenden, der Zukunft.
Samstag, 24. September 2016
158
Reservative Existenz im repräsentativen Kontext ist, streng genommen, eine beständige Täuschung, ein als ob, ein Schein des Dazugehörens, ein Schein des Mitmachens und des Dabeiseins. Die eigentlich erforderliche Übersetzungsleistung ist kaum zu erbringen.
Freitag, 23. September 2016
157
Das Symbol meines Blogs ist der Construct-Szene des ersten Teils der Matrix-Trilogie entnommen (siehe Nr. 27). Wir werden die Symbole nicht los. Wir sind schließlich Menschen. Wir werden also auch unsere Sprache als Symbolsystem nicht los.
156
Leiden und Verzweiflung an unserer Existenz haben sehr viel damit zu tun, wofür die uns unmittelbar umgebende Weltwirklichkeit steht, was sie repräsentiert. Wenn Gesundheit und hohe Lebenserwartung (vermeintlich) selbstverständlich sind, dann können Krankheit und früher Tod nur irritieren.
„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“ (Kierkegaard). Fundamentaler formuliert: In der Differenz von Repräsentationen und Existenz findet sich eine wesentliche Ursache dafür, dass wir Sein und Existenz nicht hin- und annehmen können, wie sie sind.
155
In einer kommenden nach-säkularen Zeit müssen wir alles daran setzen, dass Religion und Metaphysik nicht erneut die Oberhand gewinnen. Das kann uns aber nicht gelingen, indem wir an der Unterscheidung von religiös-metaphysischer Interpretation und Lebensführungspraxis einerseits und säkularer Interpretation und Praxis andererseits festhalten. Säkularität verbleibt strukturell im repräsentativen System ihres Gegners, ihrer Herkunftsreligion und ihrer Herkunftsmetaphysik – was sie zuletzt ähnlich hilflos werden lässt gegenüber der Weltwirklichkeit. Helfen kann allein, wenn wir eine neue Unterscheidung gewinnen: eine Unterscheidung zwischen repräsentativer und reservativer Interpretation und Praxis.
Sonntag, 18. September 2016
154
Das Gleichnis, das Bild, das Symbol eröffnet nicht den Zugang zur „Wahrheit“. Es steht der Aufklärung vielmehr im Wege.
Freitag, 16. September 2016
153
Die Liebe vollendet sich in der Treue (Kierkegaard). Christlich verstanden ist der Satz grauenvoll. Da stinkt er geradezu nach Pflicht am Ende der Leidenschaft. Reservativ interpretiert verweist er jedoch auf äußerste Freiheit. Reservative Liebe ist weder Leidenschaft noch Pflicht. Sie ist wirklichkeitsfreie Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, unbedingte, bedingungslose Selbstbindung des Wollens - und damit zugleich des Tuns.
152
Küchenempirie an der Supermarktkasse: Alternde Gesellschaften beruhigen sich nicht. Sie werden bissiger und unduldsamer.
151
Wie können wir uns in einer Weltwirklichkeit der Gleich-Gültigkeiten noch halten? Durch Interpretation (Wirklichkeitsanschauung), Tugend (Disziplin) oder Medikamente (Drogen). Ich bevorzuge die Interpretation.
Montag, 12. September 2016
150
Reservatives Leben ereignet sich in Raum und Zeit, also in Relativität und Veränderung. Da gibt es nicht bessere oder schlechtere, nicht rückständige oder fortschrittliche Zustände. Es gibt lediglich relative und veränderliche Zustände des Leids und des Glücks, mit denen es umzugehen, denen gegenüber es Unabhängigkeit, Freiheit zu wahren gilt.
149
Von der Existenz aus dem Denken herausgerissen, ist der Weg zurück zunehmend lang und beschwerlich. Zumal ich (bloß) durch- und querschnittlich begabt bin. Ich folge und gehorche keinem Dämon.
Montag, 5. September 2016
148
Dem Gleichgültigen ist Vergebung ein Leichtes.